Frauen lügen
erinnern, ob er es war, der Mitte vorletzter Woche den Anruf von diesem ominösen Handy aus getätigt hat. Am Wochenende haben die aber nur einen Notdienst im Büro. Vielleicht kann sich am Montag einer von der restlichen Belegschaft an das Telefonat erinnern. Falls ja, wäre das ein entscheidender Hinweis.«
»Dann wäre das Handy aus dem Besitz der Schauspielerin direkt an Michelsen gegangen – und er wird es ja wohl kaum auf einer Parkbank aufgelesen haben.«
»Auffallend richtig. Wenn es gut läuft, haben wir ihn bald am Haken.«
»Irgendetwas verbirgt der Kerl, das glaube ich auch. Ob er aber deshalb gleich der Mörder seiner Frau ist?«
»Das weiß ich auch nicht, aber darum werde ich mich jetzt gleich in der Nachbarschaft von diesem Hübner noch mal gründlich umhören. Hier ist es heute ziemlich kühl und wolkig, kein Strandwetter also. Vielleicht kann ich ja noch ein paar Zeugen auftreiben. Und was machst du jetzt?«
»Ich werfe mich ins Taxi und fahre nach Blankenese. Erstaunlicherweise hat mir Jonas Michelsen bereitwillig eine Audienz gewährt. Er erwartet mich um eins. Das schaffe ich schon gar nicht mehr. Also, lass uns Schluss machen, ich muss mich beeilen.«
»Okay, dann viel Erfolg und hör mal, zwei Dinge noch. Erstens: Sag dem Michelsen erst einmal nichts von dem verräterischen Anruf im Marco-Polo-Tower. Der ist ohnehin schon nicht gut auf uns zu sprechen. Ich würde ihn gern mit vollendeten Tatsachen konfrontieren.«
»Okay. Und zweitens?«
»Ruf mich nicht bei Silja zu Hause an, ja? Wir haben uns gestern Nachmittag gestritten und ich bin direkt ausgezogen. Ich wohne jetzt auf dem Campingplatz in Wenningstedt.«
»Machst du Witze?«
»Höre ich mich so an?«
»Ach, Scheiße, Bastian, komm, versuch das wieder einzurenken. Du tust Silja gut, und das weiß sie auch ganz genau. Worum ging’s denn überhaupt bei eurem Streit?«
»Sie behauptet, ich sei ein kleinbürgerlicher Macho.«
»Na, das bist du doch auch.«
»Oh, danke für das Kompliment.«
»Bitte, gern geschehen. Also, ich muss jetzt. Und halt die Ohren steif, hörst du? Bis Dienstag in alter Frische.«
Nachdenklich verstaut Bastian Kreuzer sein Handy wieder in der Hosentasche. Er hat eine unruhige Nacht hinter sich und immer wieder über den Streit nachgedacht. Aber der Ärger sitzt tief, und er ist nicht sicher, ob er noch eine Zukunft für die Beziehung mit Silja sieht. Außerdem hat er im Moment wirklich anderes zu tun, als seine analytischen Fähigkeiten auf Beziehungsarbeit zu verschwenden. Wütend legt er einen Schritt zu und stürmt durch die stillen Straßen von Wenningstedt. Wie von selbst führt ihn sein Weg auf den Dorffriedhof, wo er verdutzt vor einem niedrigen Naturstein stehen bleibt, in den in schlichten Lettern die Namen Marianne und Wolfgang Boysen eingraviert sind. Das Grab ist groß und bietet sicher noch Platz für die ermordete Tochter der beiden. Mit dem Vorsatz, sich möglichst bald nach dem Bestattungstermin zu erkundigen, wendet sich Bastian Kreuzer ab, um seine Runde an den Haustüren der Villenbewohner am Dorfteich zu beginnen.
Sonntag, 21 . August, 12.50 Uhr,
Dorfteich, Wenningstedt
Fröhlich lachend sitzt Susanne Michelsen in dem Strandkorb auf Fred Hübners Terrasse. Sie wirft den Kopf nach hinten und lässt ihr blondes Haar im Spätnachmittagslicht fliegen. Dann hebt sie das Glas mit dem hellroten Campari-Orange-Gemisch zum Mund und setzt es an ihre Lippen. Doch anstatt in ihrer Kehle zu verschwinden, überzieht die Flüssigkeit Susanne Michelsens ganzes Gesicht, malt Streifen auf Wangen und Nase, frisst sich hinauf zur Stirn, wo sie sich mäandernd verzweigt und schließlich mit dezenter Kraft die Hirnplatte sprengt. Während des gesamten Vorgangs hält Susanne ihre Augen fest auf Fred gerichtet. Fragend, nicht vorwurfsvoll ist ihr Blick.
Fred will aufspringen, er will zu der Geliebten laufen, er will mit beiden Händen ihre Hirnhälften halten und womöglich wieder zusammenpressen. Er will heilen, was längst nicht mehr zu heilen ist.
Doch seine Arme verfangen sich in der Wolldecke, sein Körper rollt fast von dem schmalen Ledersofa, das zum Schlafen nie vorgesehen war. Freds Blicke gleiten verständnislos über die Einrichtungsgegenstände seiner Wohnetage. Was macht er hier? Warum liegt er nicht oben in seinem Bett? Und wo zum Teufel ist Susanne geblieben? Dann überfällt ihn die Erkenntnis wie ein Hieb. Sein Schlafzimmer ist voll getrockneten Blutes, es ist das Blut der Frau,
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