Frauen lügen
Kreuzer sich dermaßen blamiert gefühlt. Zum Glück verlieren die anderen Friedhofsgäste schnell das Interesse an ihm und verlassen jetzt auch das Gräberfeld. Bastian blickt sich suchend um. Sven scheint mit dem Hotelmanager verschwunden zu sein, jedenfalls kann er die beiden nicht entdecken. Nur Jonas Michelsen redet noch neben dem offenen Grab mit dem Pfarrer.
Verbittert folgt Bastian der Blonden in angemessener Entfernung. Sie geht wie eine Erscheinung durch die Menge vor der Kirche, spricht mit niemandem, sondern wendet sich stattdessen nach links zu den Parkhäfen, um in einen alten cremeweißen Porsche zu steigen.
Endlich regt sich etwas in Bastians Gedächtnis. Der 911 er ist zwar kein Kleinwagen, aber wegen seines wenig bulligen Aussehens im Dunkel einer Gewitternacht vielleicht damit zu verwechseln. Und war es nicht ein heller Kleinwagen, den der Zugabfertiger am Bahnhof Morsum in der Brandnacht gesehen haben wollte?
Ohne mit einem weiteren Blick nach Sven zu suchen, setzt Bastian zu einem ordentlichen Spurt in die nächste Querstraße an. Auf halber Strecke überholt ihn die Blonde und hupt kurz, als wolle sie ihn anfeuern. Als Kreuzer den Dienstwagen erreicht hat, ist der Porsche gerade noch am Ende der Straße zu sehen. Sein Blinker zeigt nach links, wo es zu der großen Kreuzung zwischen Westerland und Kampen geht. Vielleicht fährt die Blonde tatsächlich nur zu der Villa Jonas Michelsens, überlegt Bastian, während er ins Auto springt, startet und Gas gibt. Da schießt der Porsche in eine Lücke im Querverkehr. Sollte die nur wenige Meter entfernte Ampelkreuzung jetzt grünes Licht zeigen, wäre diese Dornfeldt nicht mehr einzuholen. Bastian erwägt kurz, das Blaulicht aufs Dach zu setzen, entscheidet sich dann aber dagegen. Die Höhe seines Adrenalinspiegels garantiert auch ohne Blaulicht vollen Einsatz.
Zum Glück wartet der Porsche noch an der Ampel, als Bastian endlich um die Ecke biegen kann. Die Fahrerin hat den linken Blinker gesetzt, es soll also tatsächlich in Richtung Kampen gehen. Der Wagen Antonia Dornfeldts ist der erste an der Kreuzung, dahinter stehen zwei weitere, die ebenfalls nach Norden wollen, dann erst kommt Bastian in der Schlange. Während des Wartens auf einen Farbwechsel, muss der Hauptkommissar an den Showdown seines ersten Einsatzes auf dieser Insel denken. Er meint förmlich, das Rotieren der Hubschrauberblätter wieder zu hören, die Massen der Journalisten und Zaungäste wieder zu sehen und die aufgestaute Angst aller Anwesenden zu spüren. Das alles hat genau hier auf dieser Kreuzung stattgefunden, nur dass an diesem Tag neben Sven auch Silja bei Bastian im Wagen saß und ihre Liaison gerade begonnen hatte. Ein Stich fährt ihm durchs Herz und eine unangebrachte Welle von Zuneigung überschwemmt ihn.
Doch dann wird die Ampel grün, der Porsche, immer noch links blinkend, fährt an, aber hält nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, um den Gegenverkehr vorbeizulassen, sondern biegt mit quietschen Reifen nach rechts auf die große Inselstraße nach Westerland ab. Fluchend steht Bastian hinter seinen beiden Vordermännern, die sehr wohl den Gegenverkehr abwarten müssen. Selbst ein Blaulicht würde jetzt nichts mehr helfen. Oder doch? Wertvolle Sekunden verstreichen, während das Röhren des Porschemotors langsam verhallt. Als Bastian Kreuzer schon die Seitenscheibe heruntergelassen hat und gerade das Blaulicht aufs Dach setzen will, rutschen die Wagen vor ihm durch eine Lücke im Gegenverkehr. Bastian greift mit beiden Händen nach dem Lenkrad, schlittert um die Kurve nach rechts und tritt anschließend das Gaspedal voll durch. Am Horizont entschwindet der Porsche seinem Blickfeld.
Mittwoch, 24 . August, 10.59 Uhr,
Umgehungsstraße zwischen Wenningstedt und Westerland
Wenn das keine erhebende Veranstaltung war.
Eine tote Hotelerbin, ein ungerührter Witwer und ein betrügerischer Manager, der verdientermaßen gerade eins auf die Mütze bekommen hat. Dass es so perfekt laufen würde, hätte ich nie zu hoffen gewagt. Diesmal scheint sich sogar die Polizei um die Richtigen gekümmert zu haben. Und für Jonas Michelsen wird es langsam Zeit zu erkennen, was Freund und Feind unterscheidet. Aber das kommt schon noch. Bald werde ich aus der Deckung treten können. Jetzt habe ich mich schon so lange in Geduld geübt, dass ich ganz bestimmt nicht auf den letzten Metern die Nerven verlieren werde …
Mittwoch, 24 . August, 11.03 Uhr,
Keitumer Landstraße
Obwohl die
Weitere Kostenlose Bücher