Frauen lügen
der jetzt folgenden Strecke hält sie den Stresspegel hoch. Mit einem Tempo zwischen 90 und 120 Stundenkilometern rauscht sie durch die weiten Kurven, als handle es sich darum, eine Rallyetrophäe zu erringen. Immerhin gelingt es Bastian jetzt, ihr sehr nah auf den Fersen zu bleiben. Als sein Handy in der Jackentasche klingelt, greift er danach, um den Anruf anzunehmen. Im selben Moment bremst die Porschefahrerin so plötzlich, dass Bastians Audi fast in sie hineinrauscht. Fluchend steigt Bastian selbst auf die Bremse und lässt das Handy klingeln. Mit lächerlichen 20 Stundenkilometern biegt Antonia Dornfeldt anschließend nach rechts ab und rollt ihren Sportwagen in eine schmale Sackgasse, die direkt zum
Fährhaus Sylt
führt. Das weiße Luxushotel im Bäderstil liegt am Munkmarscher Watt und bietet von seiner holzüberdachten Veranda einen bezaubernden Blick bis hinüber zum Festland. Antonia Dornfeld parkt den Porsche, entsteigt ihm beschwingt und eilt trotz ihres engen Rocks mit federnden Schritten die wenigen Stufen zur Veranda hinauf. Sie nickt einem Kellner zu, lehnt sich anschließend in einer eleganten Bewegung an einen der weißlackierten Terrassenpfeiler und zieht ein silbernes Etui und ein schmales Feuerzeug aus ihrer Designertasche. Während sie das Etui aufspringen lässt und sich eine Zigarette ansteckt, ruht ihr Blick mehr amüsiert als herausfordernd auf Bastian Kreuzers Audi.
Mittwoch, 24 . August, 11.20 Uhr,
Dorfkirche Wenningstedt
Erleichtert sieht Sven Winterberg Silja in ihrem Privatwagen auf die Straße vor der Friesenkapelle einbiegen. Er geht dem Auto einige Schritte entgegen und beugt sich, als es neben ihm anhält, zum geöffneten Fenster hinunter.
»Bin ich froh, dass du erreichbar warst. Ich weiß gar nicht, was heute los ist. Alles scheint irgendwie schiefzulaufen.«
Silja parkt den Wagen und steigt aus.
»Bei mir nicht. Aber Bastian ist ein bisschen aus der Spur, oder?«
Ihre Worte werden von einem fragenden Blick begleitet, der andeutet, dass die Bemerkung sowohl auf die persönliche als auch auf die berufliche Ebene bezogen werden kann.
»Das weißt du wahrscheinlich besser als ich. Fakt ist jedenfalls, dass er mich nach der Beerdigung erst zu diesem Dornfeldt geschickt hat und dann plötzlich verschwunden war. Und mit ihm unser Dienstwagen.«
»Geht er nicht ans Handy?«
»Keine Chance.«
»Merkwürdig, das passt gar nicht zu ihm. Er hat mich letztens derartig zusammengefaltet, weil ich für eine Stunde das Telefon abgestellt hatte, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Dabei wollte ich nur mal in Ruhe nachdenken.«
»Ja, ich erinnere mich. Mir gegenüber hat er das eher als Kavaliersdelikt abgetan.«
»Wenn es ein Mann macht, dann ist es das für ihn vielleicht auch«, entgegnet Silja bitter. »Wollen wir eine Runde um den Teich drehen? Hier können wir ebenso gut reden wie im Büro. Und es ist nicht ganz so stickig.«
»Gern. Sag mal, habt ihr euch wirklich über etwas so Blödes wie Geschlechterrollen gestritten?«
»Das ist nichts Blödes. Fängst du jetzt auch noch damit an?«
»Entschuldige. Aber ich verstehe nicht, was das mit unserem Fall zu tun haben soll.«
»Ich glaube halt nicht bedingungslos an Bastians Hypothese vom männlichen Täter. Das hat ihn tierisch aufgeregt. Und dann hat ein Wort das andere gegeben.«
Sven seufzt. »Bringt das bloß wieder in Ordnung, hörst du? Ihr seid so ein tolles Paar.«
»Ich weiß nicht. Ich glaube im Moment, dass es mehr gibt, was uns trennt als was uns verbindet.«
»Wart’s ab, vielleicht schwenkt Bastian demnächst ganz von selbst zu deiner Frau-als-Täterin-Theorie um.«
»Wie kommst du darauf?«
»Bei der Beerdigung gab’s einen großartigen Auftritt: Eine kühle Blonde vom Typ ›Sex on the Rocks‹ saß in der ersten Reihe neben dem Witwer. Beide wirkten nicht sehr traurig, um es mal vorsichtig zu formulieren.«
»Sex on the Rocks, ja? Und die verdächtigt ihr jetzt also. Du bist auch nicht besser als Bastian, weißt du das?«
»Silja, sei so gut und lass uns das Thema wechseln. Ich weiß nicht, wo die Dame nach der Beerdigung abgeblieben ist, und es wäre immerhin möglich, dass sich Bastian näher mit ihr beschäftigt.«
»Was du nicht sagst.«
»Silja, bitte! Wir müssen noch etwas anderes klären. Albert Dornfeldt, der Hotelmanager, hat nämlich ein beeindruckendes Hämatom an der Schläfe. Zum Glück hat er nicht versucht, mir weiszumachen, er sei die Treppe
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