Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
wendete.
Berüchtigt hingegen ist Mollys Schlussmonolog wegen der Freizügigkeit seiner sexuellen Beschreibungen; es ist das »schmutzigste« Kapitel in einem Buch, das ohnehin als schmutzig galt. Fixiert auf den obszönen Ruf des Buches, sahen die ersten Leserinnen und Leser des Ulysses in Molly Bloom den Archetyp einer Hure – und taten ihr unrecht. In Wirklichkeit ist sie ihrem Mann zum ersten Mal untreu – und das nach immerhin zehn Jahren ohne Zärtlichkeiten von seiner Seite. Molly ist eine zwar ungebildete, jedoch clevere, scharfsinnige und freimütige Frau. Vor allem ist ihr Monolog in hohem Maße unterhaltsam. Mollys Witz ist durch und durch komödiantisch: Sie hat die Gabe, die Ausdrucksweise anderer Personen nachzumachen, und bevorzugt eine saftige, mit erotischen und sexuellen Anspielungen gesättigte Sprache, die dennoch die Sprache einer Frau bleibt und frei ist von männlichen Zoten wie auch von überheblicher Ironie.
Dass Marilyn mit ihrem Sinn für derbe Komik Gefallen an Mollys Monolog fand, liegt auf der Hand. Die Stelle, an der Molly darüber sinniert, dass sie es wegen ihres Aussehens zu einem Bühnenstar gebracht haben könnte, hätte sie Bloom nicht geheiratet, dürfte ihr ebenso zugesagt haben wie Mollys Gedanke, dass die Welt wohl ein besserer Ort zum Leben wäre, würde sie von Frauen regiert. Vor allem aber bot sich Mollys Sinnlichkeit zur Identifikation an. » Ich bin das Fleisch, das stets bejaht«, lässt Joyce sie sagen. Marilyn selbst setzte darauf, durch erotische Freimütigkeit und sexuelle Anzüglichkeit zu provozieren und Aufsehen zu erregen. So offenbarte sie wiederholt der Presse, dass sie unter ihrer Kleidung » nichts, aber auch gar nichts trage – keine Höschen, Schlüpfer, Strumpfhalter oder Büstenhalter«.
Marilyn führte ihren Körper und ihre Sexualität mit damals unbekannter Freizügigkeit vor und wirkte dabei unschuldig wie ein nackter Engel. Entscheidend aber war, dass sie zugleich beides, die Verruchtheit wie die zur Schau getragene Naivität, mit ihrem herausfordernden Witz und ihrer Schlagfertigkeit konterkarierte. Als sie als erster weiblicher Grand Marshall die Miss America Parade anführte, angetan mit nichts als einem Ausschnitt, der vom Hals bis zum Bauchnabel reichte, und damit bei kirchlichen Gruppierungen und Frauenvereinen Wellen der Empörung auslöste, erklärte sie mit Unschuldsmiene: » Die Leute starrten mich den ganzen lieben langen Tag an, aber ich dachte, sie bewunderten mein Grand Marshall Abzeichen.« Bei einem Unterhaltungsprogramm vor Tausenden von Soldaten schmachtete sie »Come and get it, you won’t regret it« ins Mikrofon, Zeilen aus dem von ihr interpretierten Gershwin-Song Do It Again . Anschließend kam der Veranstalter auf Marilyn zu, die neben einem engen Rock auch einen engen Pullover trug, und meinte anzüglich, sie sei das schönste » pullover girl« , im Klartext, das geilste Mädchen, das hier je aufgetreten sei. Darauf Marilyn zum Publikum: » Ich begreife die ganze Aufregung nicht. Ihr Jungs da unten pfeift ständig hinter Girls mit Pullovern her. Stellt euch doch nur mal vor, ihr zieht die Pullover aus – was ihr dann erst zu sehen bekommt!«
In den 1950er Jahren war das weibliche Sexualleben noch ein dunkler Kontinent, an dessen Grenzen die Wächter von Sitte, Anstand und Ignoranz patrouillierten. Abgesehen von literarisch-tiefenpsychologischen Erkundungen, wie sie exemplarisch James Joyce in Mollys Monolog vorführte, gab es wenig Aussagekräftiges zum Thema. Dann aber erschien 1953 in den USA der Kinsey-Report über Das sexuelle Verhalten der Frau . Obwohl (oder gerade weil) es sich um das sehr trockene, auf Umfragen, Tabellen und Statistiken beruhende Buch eines älteren Herrn und seiner Mitarbeiter handelte, löste es Wogen der Empörung aus. Millionen von Amerikanern waren geschockt: Mehr als die Hälfte aller Frauen hatte Sex vor der Ehe? Jede vierte verheiratete Frau ging fremd? Masturbation war auch unter Frauen eine weit verbreitete Praxis? Die Grenze zwischen » normaler« und sogenannter » perverser« sexueller Aktivität verlief fließend? Insbesondere befasste sich die Kinsey-Studie mit dem Orgasmus der Frau und lieferte auch hierzu Zahlen über Häufigkeit, Intensität und Lebensalterabhängigkeit. Obwohl Alfred Charles Kinsey jede soziale oder moralische Bewertung der Fakten strikt vermied, lautete seine zwischen den Statistiken versteckte Botschaft: Frauen haben Lust auf Sex und wissen in der Regel
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