Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Erstling, ein so ambitioniertes wie schwieriges Stück Literatur, bekannt zu machen, hatte der Verlag seinerzeit neue Wege des Buchmarketings beschritten und ganz auf die Wirkung der Person der Autorin gesetzt. Die Umschlagrückseite war nicht, wie sonst üblich, mit Vorschusslorbeeren in Gestalt von Anpreisungen des Werkes durch prominente Kollegen und Kritiker geschmückt, sondern es prangte dort ein ganzseitiges Foto der Autorin. Ihr tiefschwarzes, modisch geschnittenes Haar und ihre sublimen Gesichtszüge, die zugleich Ernsthaftigkeit und Sinnlichkeit ausstrahlten, signalisierten in Verbindung mit ihrem Designeroutfit eine in der Literaturszene zumal in weiblicher Gestalt bislang unbekannte Mischung von Geist und Glamour. Rein literarisch gesehen war Der Wohltäter schwierige Avantgarde-Kost, interessant für kaum mehr als einen kleinen Kreis akademisch gebildeter Leser, nicht anders als Handkes Erstling Die Hornissen . Das Image, das sich beide erwarben, machte sie hingegen über die Literaturszene hinaus interessant: Sie standen für eine neue Form ästhetischer Rebellion, motiviert durch eine Gier nach Leben, wie sie dem jungen Zeitgeist entsprach.
Die Anwesenheit Susan Sontags in Princeton hatte einen konkreten Grund: Im Anschluss an die Tagung der Gruppe 47 fand die traditionelle Princeton-Konferenz statt, bei der die Teilnahme der deutschen Schriftsteller durchaus erwünscht war. Das Thema der Tagung lautete: »Der Schriftsteller in der Wohlstandsgesellschaft«. Es sprachen unter anderen: der Kulturkritiker und Brecht-Übersetzer Eric Bentley, der Literaturwissenschaftler Leslie Fiedler, der zwei Jahre später die literarische Postmoderne ausrufen sollte, der Dramatiker Peter Weiss, dessen Theaterstück über den französischen Revolutionär Jean Paul Marat soeben in der Londoner Inszenierung von Peter Brooks am Broadway Triumphe feierte, sowie als einzige Frau und jüngste Rednerin Susan Sontag. Ihr Auftritt war das zweite bemerkenswerte Vorkommnis am Rande des amerikanischen Gastspiels der Gruppe 47. In ihrem Beitrag schilderte sie, sie schreibe, wie ein Maler malt und ein Komponist komponiert, nicht um Botschaften zu übermitteln oder um irgendeiner Wirkung willen, sondern aus reiner Freude an ästhetischen Formen. Das mutet auf den ersten Blick harmlos an, konnte in einer Zeit, die von der Literatur vor allem Engagement forderte, aber durchaus als Provokation gelten. Die ZEIT sah darin »eine extreme Position, die es in Deutschland noch sehr schwer hätte«.
Bob Peterson, »Walter Höllerer, Susan Sontag, H. Magnus Enzensberger«, 1966,
© Bob Peterson/TIME & LIFE Images/Getty Images
Zigaretten statt Bücher: Princeton 1966, von links nach rechts: Walter Höllerer, Susan Sontag, Hans Magnus Enzensberger.
Doch so weltfremd, wie es den deutschen engagierten Schriftstellern erschienen war, hatte Susan Sontag ihr Plädoyer für die Unabhängigkeit des Ästhetischen gar nicht gemeint. Das bewies sie, als sie zur Verwunderung ihrer Kritiker am Abend auf dem Teach-in sprach, das eine Studentengruppe gegen die amerikanische Intervention in Vietnam veranstaltete. Konzentration auf die ästhetische Seite der Kunst und politisches Engagement schlossen sich in ihren Augen nicht aus – allerdings war das eine nicht auf das andere zurückzuführen. Eigentlich hatten die beiden Sphären wenig miteinander zu tun, es sei denn, dass die Schärfung der Sinne, die sie als die eigentliche Funktion der Kunst verstand, auch Auswirkung auf die politische Wahrnehmung hatte. Auf jeden Fall aber wollte sie verhindern, dass die Kunst für irgendeinen außerhalb ihrer selbst liegenden Zweck, eine bestimmte Auffassung von Gesellschaft oder eine Ideologie, instrumentalisiert wurde. Die Fixierung auf den Inhalt, wie sie bei den engagierten Schriftstellern zu erkennen war, brachte die Kunst ihrer Ansicht nach um alles, was sie eigentlich ausmachte: das sinnliche Erleben, aus dem heraus sie entstand und das sie bei ihren Rezipienten, einerlei ob Betrachter, Zuhörer oder Leser, auslöste, ihre spezifische Weise der Aufmerksamkeit, ihren magischen Formenreichtum, ihre Transparenz.
Geboren wurde Susan Sontag als Susan Lee Rosenblatt in New York. Der Nachname, unter dem sie bekannt wurde, war der ihres Stiefvaters, des Kriegsveteranen Captain Nathan Sontag, den ihre Mutter heiratete, als Susan zwölf Jahre alt war. Ihr leiblicher Vater, Jack Rosenblatt, ein Pelzhändler, dessen Unternehmen in China beheimatet war und der zwischen
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