Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
uns … gerade zusammenzieht … ja, wer wäre imstand von diesem Wesen ruhig zu reden?« Obwohl von ihr auch Verse existieren, verstand sich Marilyn in keiner Phase ihres Lebens als Dichterin. Doch das Ungeheure und Kindliche, das Rilke am Dichter preist, dürfte ihr auch für sie selbst eingeleuchtet haben. War Norma Jeane nicht im Begriff, mit »Marilyn Monroe« ein Kunstwerk zu schaffen, das zwar nicht aus Worten, wohl aber aus Bildern bestand, ähnlich inkommensurabel wie nach Rilkes Meinung die Poesie?
1951, bei den Dreharbeiten zu Alter schützt vor Torheit nicht, lernt Marilyn dann gleich zwei Größen der damaligen amerikanischen Kultur- und Literaturszene kennen. Mit dem einen, dem siebzehn Jahre älteren und verheirateten Theater- und Filmregisseur Elia Kazan, beginnt sie bald ein Verhältnis, laut Urteil ihres Biographen Donald Spoto »die erste unkomplizierte und befriedigende Liebesaffäre ihres Lebens«. Sie dauert immerhin ein ganzes Jahr. In den zweiten, den lediglich zehn Jahre älteren Schriftsteller Arthur Miller, dessen Erfolgsstück Tod eines Handlungsreisenden Elia Kazan auf die Bühne gebracht hat, verliebt sie sich zwar (und er sich auch in sie), aber die Beziehung der beiden ist wesentlich komplizierter und wird erst fünf Jahre später zur Heirat führen. Zwischenzeitlich absolviert Marilyn nach ihrer ersten rasch noch eine zweite, äußerst kurze Ehe mit dem Baseballstar Joe DiMaggio. Erst einmal aber begleitet der gerade selbst in erster Ehe verheiratete Arthur Miller das Liebespaar Marilyn Monroe und Elia Kazan auf ihren Steifzügen durch Buchhandlungen, bei ihren Besuchen bei Schriftstellern und Komponisten, bei Picknicks und Fahrten zum Strand. Während sie mit Kazan im Bett liegt, schwärmt Marilyn von Arthur Miller, dessen Bild in ihrer Wohnung hängt und dem sich die vaterlos Aufgewachsene in einem ihrer wenigen Briefe anvertraut: »Die meisten Menschen können ihren Vater bewundern, aber ich hatte niemals so einen Menschen. Ich brauche jemanden, den ich bewundern kann.« Wenig einfühlsam, aber immerhin mit einem Lektüretipp verbunden, schreibt Miller zurück: »Wenn Du unbedingt jemanden brauchst, den Du bewundern kannst, warum nimmst Du dann nicht Abraham Lincoln? Carl Sandburg hat über ihn eine hervorragende Biographie geschrieben.« Als sie den Brief erhält, besorgt sich Marilyn noch am selben Tag das Buch und ein gerahmtes Porträt von Lincoln. Beides wird bis zu ihrem Lebensende in ihrem Besitz bleiben, lange über das Ende der Ehe mit Arthur Miller hinaus.
Angesichts dessen könnte man auf den Gedanken kommen, die in den folgenden Jahren entstandenen Aufnahmen, auf denen sich Marilyn mit Büchern zeigt, seien gewissermaßen an Arthur Miller gerichtete Bewerbungsschreiben, versehen mit der Botschaft: Ich bin nicht nur begehrenswert, weil ich so schön bin, sondern auch weil ich kluge Bücher lese. Da mag psychologisch etwas dran sein, es wird aber weder den Aufnahmen gerecht noch dem erotischen Verhältnis zum Lesen, das sie ins Bild setzen. Sehen wir näher hin.
Eve Arnold war eine der wenigen Frauen unter den Starfotografen dieser Zeit, 1951 wurde sie als erste Frau Mitglied bei der Agentur Magnum Photos. Ihre Bilder von Marlene Dietrich hatten bei Marilyn einen bleibenden Eindruck hinterlassen. So kamen die beiden zusammen. An einem Sommertag des Jahres 1955 holte Eve Arnold ihr Model im Haus des Dichters und Romanciers Norman Rosten ab. Marilyn hatte eine Ausgabe des Ulysses von James Joyce bei sich. Seit einiger Zeit war sie Mitglied von Lee Strasbergs sagenumwobenem Actors Studio, einer Art Theaterlabor, das sich ganz aufs Gefühlsleben der Schauspieler konzentrierte. Strasbergs Methode hatte große Ähnlichkeiten mit der Tiefenpsychologie: Er wollte die verschütteten Empfindungen seiner Schüler freisetzen und sie so zu einem echten Gefühlsausdruck befähigen. Die meisten absolvierten nebenher eine Psychoanalyse, so auch Marilyn. Für eine der Sitzungen sollte sie das stark an die Emotionen appellierende Schlusskapitel des Ulysses einüben.
Als Eve Arnold und ihr Model an einem Spielplatz haltmachten, nahm Marilyn den Ulysses und vertiefte sich darin, während Eve einen Film einlegte. Und natürlich drückte sie auf den Auslöser. So entstand die berühmte Fotoserie der auf einem Spielplatz im Ulysses lesenden Marilyn Monroe. Man muss sich das einmal vorstellen: Marilyn Monroe, die Sex-Ikone des 20. Jahrhunderts, liest eines der wichtigsten Werke der
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