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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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Princeton 1966 die dritte Auslandszusammenkunft. Besondere Vorkommnisse? Keine, glaubt man etwa der damaligen Berichterstattung von Dieter E. Zimmer in der ZEIT . »Es hätte sich alles ebenso gut in Travemünde oder Rosenheim abspielen können, oder in Aix-en-Provence oder Rio de Janeiro.« Dass »deutsche Schriftsteller, um sich gegenseitig neue Arbeiten vorzulesen, einen Ozean überqueren, dass sie Orkane durchstehen, dass sie einen amerikanischen Universitätscampus aus vornehmer Ruhe aufstören, dass an einer amerikanischen Autostraße ( US 1) vor einem Motel (›your host from coast to coast‹) ein nachts erleuchtetes Reklameschild verkündet: › WELCOME GRUPPE 47‹« – das sei alles absurd genug, auf den ersten wie auf den zweiten Blick.
    Auf den dritten Blick war dann aber doch einiges mit Bedeutung passiert. Auf immer wird der Name Peter Handke mit dem amerikanischen Treffen der Gruppe 47 verbunden bleiben. Handke, fünfundzwanzig Jahre jung, trug zu dieser Zeit eine Pilzkopf-Frisur im Stil der Beatles und nutzte die Tagung, um noch vor dem Erscheinen seines Erstlingsromans Die Hornissen auf sich aufmerksam zu machen. Am Tag nach seiner eigenen Lesung, die Marcel Reich-Ranicki langweilig gefunden hatte, erhob er sich, um etwas Grundsätzliches zum Stand der hier vorgetragenen Literatur zu sagen. Zwei Mal hatte er dazu während der Tagung schon angesetzt, beide Male aber war seine Intervention verpufft, die an sich schon einen Bruch mit den Gepflogenheiten darstellte, da die eiserne Regel galt, dass der jeweilige Redner sich ausschließlich konkret mit den vorgetragenen Texten auseinandersetzte. Dieses Mal aber hatte er Erfolg: Seine spontan erscheinende, indessen wohl vorbereitete Schmährede erntete Gelächter, Gemurmel und Zwischenrufe und wurde von anderen Teilnehmern später zustimmend oder ablehnend aufgegriffen. In der gegenwärtigen deutschen Prosa, so der junge Autor, herrsche »Beschreibungsimpotenz«. Es sei eine »ganz, ganz unschöpferische Periode in der deutschen Literatur« angebrochen. Das Übel dieser Prosa bestehe darin, »dass man sie ebenso gut aus einem Lexikon abschreiben könnte«. Das sei eine »völlig läppische und idiotische Literatur«. Und die Kritik sei nicht besser: Ihr überkommenes Instrumentarium reiche gerade noch für diese Literatur aus, die Kritik sei ebenso läppisch wie die Literatur.
    Das war nicht nur eine Kampfansage an jene Schriftsteller, die mehr oder minder zur Gründergeneration der Gruppe 47 gehörten. Von heute aus gesehen war es die Geburt einer deutschen Popliteratur, aus der Polemik gegen den Geist dieser Vereinigung. Der Protagonist der Provokation war ein schüchterner Rebell, der auf den ersten Blick aussah wie ein verklemmter Klosterschüler, der aber die Gesetze der Medien genau studiert hatte und wusste, wie man aus der eigenen Person ein Markenzeichen machte. Seit diesem Auftritt stand das Konterfei von Handke in der Medienöffentlichkeit für ästhetische Rebellion. So gesehen war es doch kein Zufall, dass seine Schimpfkanonade im Land Andy Warhols und Allen Ginsbergs stattfand. Der Schriftsteller Klaus Stiller, ein Generationsgenosse Handkes, erinnert sich, wie der unbekannte, scheue Kärntner damals hinter ihnen hertrottete, als sie, eine Gruppe junger Autoren, mit einer Flasche Whiskey bewaffnet, durch den Park auf dem Princetoner Universitätsgelände stromerten. Irgendwie tat er ihnen leid, und sie warteten, damit er zu ihnen aufschließen konnte. Und da saßen sie dann auf Bänken, und Handke, der den Mund immer noch nicht aufkriegte, rief plötzlich einer vorbeigehenden Amerikanerin zu: »Hello, I want to fuck you.« Alle lachten natürlich, selbst die junge Frau. »Das war dann sozusagen der Auftritt von Handke im Park außerhalb der Gruppensitzungen.«
    Diese Frau hätte gut und gerne Susan Sontag sein können, die sich gerade in Princeton aufhielt. Anfang dreißig, einige entscheidende Jahre älter als Handke und schon ungleich berühmter und längst nicht mehr so verklemmt, spielte sie auf der Klaviatur der Medien in mindestens so brillanter Manier wie der österreichische Pilzkopf. In den vorangegangenen Jahren war sie durch eine Reihe von Beiträgen in den angesagtesten Intellektuellenmagazinen der USA zu einer Berühmtheit aufgestiegen. Am Anfang ihrer Karriere als Autorin aber hatte ein Roman gestanden, Der Wohltäter , im Herbst 1963 bei dem renommierten New Yorker Verlagshaus Farrar, Straus and Giroux erschienen. Um ihren

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