Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
weil sie wegen ihrer lesbischen Beziehungen angeblich dazu unfähig sei, die Mutterrolle auszufüllen.
Zusammen mit Fornés hatte Susan Sonntag auch deren schwulen Freund Alfred Chester kennengelernt, der gute Kontakte zur Partisan Review besaß, das damals das zentrale Intelligenzblatt der amerikanischen Linken war. Hier erschien 1962 Sontags erster Essay, eine Kritik des neuen Romans von Isaac Bashevis Singer; weitere Essays folgten über die unterschiedlichsten kulturellen Phänomene, die gerade en vogue waren, von Happenings bis zum neuen französischen Film. Schon bald hatte Sontags Name in den New Yorker Literaten-, Künstler- und Intellektuellenzirkeln einen gewissen Klang, was sich nicht zuletzt ihrer außergewöhnlichen, sehr attraktiven Erscheinung und ihrem selbstsicheren Auftreten verdankte. Als im Februar 1963 die erste Ausgabe der New York Review of Books erschien, war sie jedenfalls wie selbstverständlich mit einem Beitrag vertreten.
In New York war Susan Sontag berüchtigt für ihre Ausgehwut. Sie entdeckte die rauschenden Partys, die Welt des Rock ’ n ’ Roll und des Pop als Gegengift zu der unsinnlichen, in ihren Augen zunehmend sinnlosen, zwanghaften akademischen Welt und ihrem »verbissenen Karrierismus«. Sie hatte genug von »Geschwätz, Büchern, intellektueller Emsigkeit, dem verkrampften Gang der Professoren« – so steht es in ihrem Tagebuch. Stattdessen forderte sie die New Yorker Intellektuellen auf, endlich die Wirklichkeit um sie herum zu würdigen: Fotografie, Film, Tanz, Pop Art, Massenkultur. Sie sollten sich locker machen und die Kunst mit allen ihren Sinnen aufnehmen. Susan Sontag eroberte die sexuelle Revolution für sich und verwandelte sie in eine ästhetische Theorie.
Zu einem intellektuellen Star, der bald weit über die New Yorker Szene hinaus erstrahlen sollte, wurde Susan Sontag durch ihre Notes on »Camp« (Anmerkungen zu »Camp«), die in der Herbstausgabe 1964 der Partisan Review erschienen. Der dort zum ersten Mal praktizierten Strategie, randständige kulturelle Phänomene in den Rang von innovativen ästhetischen Formen zu heben, sollte Susan Sontag in ihrem gesamten Werk treu bleiben. So hielt sie es mit der Pornographie, so auch mit der Fotografie, der damals die Verachtung der Highbrow-Intellektuellen sicher war. Es gilt selbst noch für ihre später verfassten historischen Romane, die eine von Hochkultur und Avantgarde gleichermaßen verschmähte, für zu leicht befundene literarische Form neu erfahrbar machten. Stets hielt Susan Sontag an ihrem Prinzip fest, etwas Unerwartetes zu tun und so für ihre Umwelt unberechenbar zu erscheinen.
Als Kritikerin interessierte sie sich besonders für das Randständige und führte es ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, mittlerweile zum Schlagwort geworden, das vor allem Defizite heraufbeschwört, insbesondere das der kindlichen und jugendlichen Konzentrationsstörung, ist überhaupt der Schlüsselbegriff ihrer Ästhetik. Schon früh diagnostizierte sie einen Aufmerksamkeitsschwund im Herzen unserer Kultur. Unsere Kultur beruhe auf dem Übermaß, der Überproduktion. Egal, ob die Einkaufsstraße einer Stadt, das Fernsehen oder inzwischen das Internet: Unsere Sinne werden mit Eindrücken förmlich bombardiert. Das Ergebnis seien ein »stetig fortschreitender Rückgang der Schärfe unserer sinnlichen Erfahrung« und mit ihm ein drohender Wirklichkeitsverlust, wie es in Kunst und Antikunst heißt. Im Hinblick auf diese Abstumpfung unserer sensorischen Fähigkeiten und die Derealisierung unseres Verhältnisses zur Welt sah Susan Sontag die Aufgabe des Kritikers. Er solle dazu beitragen, dass wir unsere Aufmerksamkeit wiedererlangen, dass aus dem Defizit ein Überschuss an Aufmerksamkeit wird. Das geht nur durch radikale Beschränkung: Konzentration aufs Wesentliche. Susan Sontag sah den Schriftsteller als denjenigen, der der Welt Aufmerksamkeit schenkt – nicht weil er wahllos auf alles eingeht, was auf ihn einströmt, sondern indem er in der Lage ist, in einem noch so kleinen Ausschnitt die Fülle einer ganzen Welt zu finden. Von seinem Partner, dem Leser, wollte sie dies auch sagen können.
Michael Bowles, »Kate Winslet«, 2011, © Michael Bowles/Rex Features
Was macht die Leserin, wenn das Buch ausgelesen ist oder die Fortsetzung auf sich warten lässt? Früher wandelte sie ein Gefühl der Leere an: Die Welt war mit einem Schlag sinnlos geworden. Das muss heute nicht mehr sein: Die Lösung heißt
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