Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Verführers und gefällt sich auch darin. Reste dieser Einstellung halten sich bis heute.
Lektüre, so meinte man, spielte bei der Bedrohung der weiblichen Unschuld eine entscheidende Rolle; nicht erst der konkrete Liebhaber, sondern bereits die von der Liebe handelnden Romane würden das süße Gift der Lust in die Mädchenherzen träufeln. Der realen Verführung geht die Verführung der Einbildungskraft voraus, oder, wie in diesem Fall, mit ihr Hand in Hand. Mit der Eingangsszene seines Schauspiels hat Schiller diesem Klischee, das insbesondere Theologen und Pädagogen im Mund führten, dramatische Wucht verliehen und es zugleich als Argument der autoritären Vaterwelt entlarvt, unter der keineswegs nur die Söhne zu leiden hatten.
Für diesen Zusammenhang steht das Bild der »spanischen Mucken«, von denen Luises Vater sagt, dass sie das Blut in Wallung bringen – so wie auch die »Alfanzereien«, die Schwindeleien der Romane. Bei den »Mucken« (von französisch mouche , Fliege) handelte es sich eigentlich um geflügelte Käfer, denen im getrockneten und zermahlenen Zustand potenzsteigernde Wirkung nachgesagt wurde. »Spanische Mucken« hießen seinerzeit auch die bei Hofe gebräuchlichen, insbesondere von Damen verwendeten Schönheitspflästerchen; sie waren mit dem Reizgift getränkt und wurden gegen Warzen eingesetzt, sollten darüber hinaus aber eine erotisierende Wirkung ausüben. Schon eine geringe Überdosierung ließ aus dem Lustgift indessen eine tödliche Waffe werden; dementsprechend kam es auch bei Hinrichtungen und Meuchelmorden zum Einsatz. Die väterliche Wutrede hat ihren Höhepunkt also in einem Bild, das Liebe und Tod in Verbindung bringt – eine Vorausdeutung auf das tragische Ende der in Kabale und Liebe erzählten Liebesgeschichte, das mit Gift herbeigeführt wird, aufgelöst in Limonade. Die Limonade zubereiten wird Luise, Ferdinand anschließend ohne ihr Wissen Gift beimischen; denn er glaubt sich von seiner Geliebten betrogen. Dabei ist Luise das Opfer einer Kabale, einer Intrige, geworden, die der »Romankopf« Ferdinand, wie ihn sein Vater nennt, nur nicht durchschaut.
Nun würde man natürlich gerne wissen, was das denn für Romane waren, mit denen Ferdinand Luises Herz gewonnen und denen ihr Vater von Anfang an eine gefährliche Wirkung zugetraut hat. Das Stück sagt darüber nichts. Immerhin wissen wir von Schiller selbst, dass er sich »in dem entscheidenden Alter von 14 bis 24 ausschließlich nur aus modernen Quellen genährt« hat. Die griechische und lateinische Literatur hingegen wurde von ihm stark vernachlässigt, wenn nicht gänzlich ignoriert. Das war zu dieser Zeit, zumindest für Männer, durchaus nicht üblich und verstieß gegen alle Lektüreempfehlungen, die auf so etwas wie einen Bildungskanon abstellten. Lediglich Frauen war das Bekenntnis gestattet, alles zu lesen, was ihnen unter die Finger kam. Während sich das männliche Leseverhalten an traditionellen Mustern orientierte, die sich seit der Renaissance kaum verändert hatten, gab es für Frauen solche Vorgaben schlichtweg nicht. Sie waren bei der Wahl ihrer Lektüre darauf angewiesen, was sie aufschnappten – die Tipps von Freundinnen oder etwa die Geschenke eines Liebhabers.
Schiller war auch hierin ein durch und durch moderner Autor, dass er seine Anregungen in erster Linie aus der Gegenwartsliteratur schöpfte. Dazu zählte ebenfalls ein Roman, dessen Gedankenwelt und Sprache nicht nur ihn selbst, sondern die gesamte Literatur der Zeit nachhaltig geprägt hat. Mit Sicherheit gehörte er zu Ferdinands Lieblingsbüchern, die dann auch Luise las: Die Leiden des jungen Werthers von Schillers späterem Freund Johann Wolfgang von Goethe.
Heute genügt ein Aufruf im Internet, um spontane Treffen aus welchem Anlass auch immer zu organisieren. Im Jahr 1776 war das weitaus schwieriger, erforderte mehr Aufwand und persönliche Kontakte. Dafür war die Zahl der infrage kommenden Beteiligten aber auch überschaubarer, die Einwohnerschaft eines Ortes oder einer Stadt wesentlich geringer.
Doch eins nach dem anderen: Die freie Reichsstadt Wetzlar hatte vor rund zweihundertfünfzig Jahren gut fünftausend Einwohner, wovon allein neunhundert sich wegen des dort ansässigen Reichskammergerichts in der Stadt aufhielten. Zeitweise kamen noch einige Hundert hinzu, da die schleppende Arbeit der Behörde und Korruptionsgerüchte zur Anordnung einer »Visitation« geführt hatten – heute würden wir von einer Evaluation
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