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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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der Andacht und des Studiums ab und wird zu einer Form des individuellen Konsums, einer Freizeitbeschäftigung. Im Jahrzehnt nach der Französischen Revolution erscheinen auf dem deutschen Markt bereits zweieinhalbtausend Romantitel, genauso viele wie in den neun Jahrzehnten zuvor. Friedrich Schlegel spricht 1797 davon, dass der Kritiker den neuen Büchern »ungesäumt auf den Fersen sein muss«, will er der Gefahr entgehen, Bücher zu besprechen, die eigentlich gar nicht mehr existieren, es sei denn in der Vergessenheit der Leihbibliotheken.
    Zugleich lädt die Figur der in den Sessel versunkenen, hingebungsvoll in ihren Roman vertieften Leserin zu vielsagenden Männerphantasien ein. Wer der Leselust frönt, verrät in seinem äußeren Verhalten nur wenig bis nichts von dem, was in seinem Inneren vorgeht. Stilles Lesen ist ein höflicher Akt der Isolation, eine Weise, sich der Kontrolle durch die Gemeinschaft zu entziehen. Welchem Leser ist schon anzusehen, was für Phantasien die Lektüre in ihm wachruft? Die Zeitgenossen zeigen sich besorgt. Was, wenn solche von der Romanlektüre ausgelösten Gedanken sich über den Akt des Lesens hinaus verselbstständigen und Einfluss auf das Leben gewinnen? Das Romanlesen schult weniger den Wirklichkeits- als den Möglichkeitssinn. Und der haftet gar nicht so sehr an dem gelesenen Text selbst als an der durch die Lektüre in Gang gesetzten Einbildungskraft. Das lässt vielen Männern die weibliche Leselust zunehmend unheimlich werden. 1789, im Jahr der Revolution, stellt das Hannoversche Magazin in einer Art empirischen Untersuchung fest: Eine Romanleserin ist in der Lage, das Aussehen eines Romanhelden, der ihr gefällt, detailreich zu beschreiben, selbst wenn der Dichter darüber gar keine Aussagen macht. Die Folgerung daraus kleidet der Redakteur in eine bange Frage: »Dieses von ihrer Einbildungskraft geschaffene Bild nun, mit dem sie sich Abends niederlegt, und Morgens wieder aufsteht, ist das nicht eben so gefährlich, eben so schädlich, als ein geheimer Liebhaber?«
    Angesichts solcher Ängste verwundert es nicht, dass mit der Zunahme weiblicher Lesezeit und weiblicher Leseintensität bald auch männliche Experten in Sachen Leselust auftreten, die den pathologischen Charakter dieses neuen Sozialverhaltens durchleuchten, für dessen maximalen Ausprägungsgrad man in Deutschland den Neologismus »Lesewut« schafft. Und ebenso rasch sind die Risikogruppen identifiziert: Frauen und Jugendliche, wobei als am meisten gefährdet folgerichtig diejenigen gelten, die beide Risikomerkmale, Weiblichkeit und Jugend, auf sich vereinigen – die Mädchen und jungen Frauen, die man in Deutschland seinerzeit Frauenzimmer nennt. »Vor ungefähr zehn Jahren lasen noch wenige Frauenzimmer, und was sie lasen, war etwa das Kochbuch, Die Erz ä hlung vom Kaiser Oktavianus [ein erstmals 1535 erschienenes, auf eine christliche Sage zurückgehendes Volksbuch] – seit zehn Jahren hingegen liest fast alles. Es ist zu befürchten, das schöne Geschlecht möchte über den Büchern vergessen, dass sie nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Kindergebären und Erziehen und zur Führung der Hauswirtschaft bestimmt sind«, ist etwa 1783 in einem Frauenmagazin zu lesen. Die Geschichte des weiblichen Lesens ist in weiten Teilen der Versuch, die Freiheit des Lesens zu beschneiden, und sie ist andererseits die Geschichte von Frauen, die gegen die Kontrolle rebellieren, der man sie zu unterwerfen versucht.
    Carolines Vater, ein umfassend gebildeter Aufklärer, der von 1753 bis 1770 die berühmten Göttingischen Gelehrten Anzeigen leitet, ist an dieser Entwicklung nicht unbeteiligt. 1747, da ist er dreißig Jahre alt, lässt er anonym eine in Versform verfasste Druckschrift publizieren, die für die Einrichtung einer »Universität für das schöne Geschlecht« wirbt – ein ganz und gar außergewöhnlicher Vorschlag in einer Zeit, in der eine Zulassung von Frauen zum Studium oder gar ihre Berufung zu Professorinnen für undenkbar gehalten wurde, weshalb die Schrift auch fast ohne jede Resonanz bleibt. Vierzig Jahre später ist er als Dekan der Philosophischen Fakultät an der ersten Promotion einer Frau an einer deutschen Universität zum Dr. phil. beteiligt. Die Kandidatin heißt Dorothea Schlözer, kaum siebzehn Jahre alt. Deren Werdegang als Wunderkind, vom Ehrgeiz des Vaters angetrieben, beobachtet die ältere Caroline durchaus kritisch. »Man schätzt ein Frauenzimmer nur nach dem, was sie als

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