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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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herrlich, so hinreißend schön schreibt«.
    Doch Goethes weitläufige Besuche scheinen sich endlos hinzuziehen, sodass sie ihn am ersten Tag seines Göttinger Aufenthalts nur aus der Ferne sieht. Am Abend erhält der Weimarer Geheime Rat zusammen mit anderen Durchreisenden ein physikalisches Privatissimum bei Professor Lichtenberg. Am Tag darauf, einem Sonntag, ist für die jungen Damen ein Ausflug aufs Land geplant. Den ganzen Tag über spuken Werther- Reminiszenzen in Carolines Kopf herum. Sie bildet sich ein, sie seien hierhin gefahren, um Goethes Gegenwart zu feiern; dieser habe den Ort lieb gewonnen wie Werther das Plätzchen am Brunnen. Dann stellt sie sich vor, sie würden ihm aus der Entfernung huldigen wie Werther seiner Lotte, als er sich auf die Terrasse wirft und die Arme nach ihrem weißen Kleid ausstreckt – und es verschwindet. »Wie wir abends zu Haus ankamen, war er bei Böhmers und bei uns gewesen, und unsere Väter aßen bei Schlözer, wo Goethe war. Da ging ein Wehklagen an.«
    Wenn es ein literarisches Werk gibt, dessen Lektüre für Caroline in ihrer Jugend einen »gefährlichen Augenblick« darstellt, so ist es Goethes Werther . Kein anderes Buch beschäftigt und prägt ihr Fühlen und Denken in ähnlicher Weise. Das sieht man schon daran, dass in ihre Briefe immer wieder Beschreibungen und Szenen aus dem Roman einfließen. Später noch, da wohnt sie als junge Witwe mit ihren beiden Kindern bei ihrem Bruder in Marburg, hängt über ihrem Bett ein Schattenriss, der Lotte an Werthers Grab zeigt. Als Leserin des Werthers fühlt sich die gerade Zwanzigjährige in einer privilegierten Position: Anders als die Generation der Väter ist sie in der Lage, das honorige, Respekt erheischende Auftreten des Dichters aus Weimar als das zu durchschauen, was es ist: eine zur Schau getragene Fassade, hinter der sie ganz andere Beweggründe, Leidenschaften und wohl auch Abgründe vermutet. So schließt denn ihr Bericht über die nicht zustande gekommene Begegnung mit Deutschlands berühmtestem Autor voller Ironie: »Jedermann ist zufrieden mit ihm. Und alle unsere schnurgerechten Herrn Professoren sind dahin gebracht, den Verfasser des Werthers für einen soliden, hochachtungswürdigen Mann zu halten.«
    Ein solider, hochachtungswürdiger Mann ist auf jeden Fall der zehn Jahre ältere Amts- und Bergarzt Wilhelm Böhmer, ein Nachbarssohn, mit dem Caroline bald darauf verheiratet wird. Fritz, der ältere Halbbruder aus der ersten Ehe ihres Vaters, hat ihn für sie ausgesucht. Drei Jahre vor der Heirat hat Caroline noch an eine Freundin geschrieben: Wäre sie ganz ihr »eigner Herr« und könnte außerdem »in einer anständigen und angenehmen Lage leben«, so wolle sie »weit lieber gar nicht heiraten, und auf andre Art der Welt zu nutzen versuchen«. Nun lebt sie mit ihrem Ehemann in Clausthal, einer Bergwerksstadt im Harz, gut sechzig Kilometer von Göttingen entfernt, und leidet unter den dortigen, im Vergleich zu Göttingen provinziellen Verhältnissen. In den nicht einmal vier Jahren ihrer ersten Ehe bringt sie zwei Kinder zur Welt und ist mit einem dritten schwanger, als ihr Mann sich eine Blutvergiftung zuzieht und sie jäh zur Witwe wird. Infolge der Schwangerschaften ist sie größtenteils ans Haus gefesselt, und auch das Privileg eines Lebensstils, der von allen traditionellen Pflichten der Hausfrau weitgehend entlastet war, trägt nicht gerade dazu bei, das erwartungsvolle Leben einer jungen gebildeten Frau mit Inhalt zu füllen – zumal in dem biederen Kleinstädtchen, das kaum Geselligkeit, geschweige denn Amüsement bietet. Unter dem 15. Juni 1785 notiert sie: »an der Jahresfeier des Tages, der mich heut zwischen 4 Wände, bei einem geheizten Ofen, wie eine Mistbeetpflanze, die Sonne und Luft nur durch Glas genießt, verbannt«. Es ist immerhin ihr erster Hochzeitstag, offensichtlich weniger Anlass zur Hochstimmung als zur Depression. Bekannte urteilen, Caroline werde hier nicht glücklich werden, solange sie ihre »Göttingische Natur« nicht ablege. Der Gedanke, dass sie es mit einer jungen Frau zu tun haben, die einfach nicht gemacht ist für eine konventionelle Ehe, schon gar nicht unter solchen provinziellen Verhältnissen wie in Clausthal, kommt kaum einem. Einzige Ausnahme ist der vier Jahre ältere Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer, den Caroline noch aus seinen Göttinger Studententagen kennt, ein genialer Dilettant, eminent belesen und literarisch vielseitig begabt, vor allem aber ein homme

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