Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Frauenzimmer ist«, mokiert sie sich in einem Brief an ihre Freundin Luise Gotter. Dorothea selbst sah das anders und irgendwie auch gelassener. Von ihrer Umgebung immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, sie opfere ihre Weiblichkeit der väterlichen intellektuellen Dressur, schreibt die Fünfzehnjährige an Carolines jüngere Schwester Luise:
Meinst Du denn, dass Kochen und Spinnen angenehmer ist, als wenn ich ein historisches Collegium bei meinem Vater höre? … Liebes Mädchen, ich will Dir Vieles beichten, was wir 15jährigen Mädchen sonst in der Welt nie so früh erfahren, und auch in keinem Buche steht, was ich aber schon seit mehreren Jahren unter vier Augen von guter Hand habe: Weiber sind nicht in der Welt, bloß um Männer zu amüsieren. Weiber sind Menschen wie Männer: eines soll das andere glücklich machen.
Mit der Zeit, als Ergebnis von Erfahrung, wird sich auch Caroline diese Auffassung zu eigen machen. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Frauen ist ihr Weg dorthin. Der gestrenge Aufklärer Schlözer hatte seiner Tochter strikt jede Lektüre von Belletristik untersagt. Selbst Vergil war nur wegen seines historischen Gehalts erlaubt. Woran er Anstoß nahm, war die Fiktion: das Gestaltete und Ausgedachte von Literatur, die Schaffung einer zweiten Welt, die mit der faktischen in Rivalität treten und in Konflikt geraten kann. Genau das aber war Carolines Sache, von Kindesbeinen an, und es wird sie zu einer zentralen Gestalt der deutschen Frühromantik, des Kreises um die Brüder Schlegel, um Novalis, Ludwig Tieck und Friedrich Schelling machen, die ihre Berufung darin sehen, die Nüchternheit der Aufklärung hinter sich zu lassen und das Leben und die Gesellschaft zu poetisieren, wie es Friedrich Schlegel formuliert.
In jungen Jahren hat sich Professor Michaelis auch einen Namen als Literaturübersetzer gemacht; die ersten deutschen Fassungen der Richardson-Romane Clarissa und Die Geschichte des Sir Charles Grandison stammen aus seiner Feder. Mit beiden Werken macht seine Tochter frühzeitig Bekanntschaft. Wie entscheidend die Lektüre dieser und anderer Romane für ihr Selbstverständnis war, sieht man daran, dass sie sich, den Kinderschuhen längst entwachsen, selbst dann noch an ihnen orientiert, wenn sie deutlich machen will, dass die dort beschworene Empfindsamkeit und Tugendhaftigkeit ihre Sache nicht länger sein können, weil sie ihrer Entscheidung, ein unabhängiges Leben zu führen, im Weg stehen. Was ein Roman wie der Grandison als eine empfindsame, tugendhafte Verbindung darstelle, sei in Wahrheit pure Konvention, in die sie sich nicht länger zwingen lasse, schon gar nicht von so einem Scheinheiligen wie dem Briefeschreiber, der sich anmaße, ihr das auszutreiben, was er herablassend ihre »Sophistereien« nennt. Der besagte Briefeschreiber ist Friedrich Wilhelm Gotter, der Gatte ihrer Jugendfreundin Luise, der Caroline nach dem Tod ihres ersten Ehemanns unbedingt von der Notwendigkeit einer Wiederverheiratung überzeugen will und dafür gleich einen passenden Witwer mit Kindern ausgesucht hat. Doch » Frau Eigensinn«, wie sich Caroline scherzhaft selbst bezeichnet, weigert sich, bleibt Witwe, dafür aber ihre eigene Herrin, jedenfalls bis auf weiteres.
Nicht nur zur Identifikation, auch zur Distanzierung lassen sich Romane und Romanhelden also verwenden; das ist zwar keine originäre Entdeckung Carolines, aber dieser souveräne Umgang mit dem Gelesenen ist ein neuer Ton in einer Zeit, die vor allem die Extreme einer pauschalen Verwerfung der Wahrheit der Literatur oder die unkritische Gläubigkeit daran kennt. Durch Kritik am Handeln der Romanfiguren oder den Auffassungen des Autors teilt Caroline anderen mit, wie sie selbst fühlt und denkt, und verschafft sich so ein eigenes Profil.
Insbesondere Frauen traut man seinerzeit einen derart aufgeklärten, reflektierten Umgang mit Literatur nicht zu. Clemens Brentano, auch ansonsten nicht gerade ein Verfechter weiblichen Unabhängigkeitsstrebens, versteigt sich gar zu der Behauptung, »dass durch die Romane eine Menge unsrer Handlungen unwillkürlich bestimmt werden, und dass Frauenzimmer besonders am Ende ihres Lebens nichts als Kopien der Romancharaktere waren, die ihnen die Lesebibliotheken ihres Orts dargeboten haben«. Man spürt das kulturkonservative Bestreben, die faszinierende Vorstellung, die Literatur könne Einfluss auf das Leben nehmen, in Verruf zu bringen. Dass man Romane aber anders lesen kann als in
Weitere Kostenlose Bücher