Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Unterstützt von seiner Frau Sophie hat Condorcet die »Zulassung der Frau zum Bürgerrecht« und zum Stimmrecht gefordert. »Warum sollen Menschen, weil sie schwanger werden können und vorübergehend unpässlich sind, nicht Rechte ausüben, die man niemals solchen Männern vorenthalten würde, die jeden Winter unter Gicht leiden und sich leicht erkälten?«, fragt er scharfzüngig. Der Unterschied zwischen Frauen und Männen sei in erster Linie keine Frage der Natur, sondern der sozialen Existenz. Aus der unterschiedlichen Interessenslage erklärt sich für ihn auch, dass » Frauen nicht der Vernunft der Männer, wohl aber ihrer eigenen« folgen. Obwohl Condorcet politisch zu den gemäßigten Girondisten zählt, gehen seine Ansichten und Forderungen in Sachen Gleichberechtigung weit über die der ansonsten radikaleren Jakobiner hinaus, für die homme (Mensch) stets homme (Mann) ist und bleibt.
Und Caroline liest Mirabeau. »Mirabeau hat in seinem Kerker die göttlichsten Dinge auf Stückchen Papier geschrieben, die er von gedruckten Büchern abriss«, begeistert sich Caroline. Der Graf von Mirabeau, der als Abgeordneter des Dritten Standes und brillanter, gefürchteter Redner eine wichtige Rolle während der Revolution spielt, saß als junger Mann im Kerker von Vincennes und schrieb dort Briefe an seine Geliebte, von denen Caroline findet, sie redeten »so unaufhaltsam aus der Quelle strömend zu der Seele, zu dem Herzen, zu den Sinnen«. Aus dem Gefängnis heraus bestürmt Mirabeau die Geliebte, verleiht seiner Sorge um sie Ausdruck und macht sich, ganz untypisch für seine Zeit, übers Stillen, Wickeln und Zahnen der kleinen Tochter Gedanken. Auch das ist ein Lektüretipp von Forster. Caroline weiß, dass Mirabeau als »Bösewicht« gilt, nicht zuletzt weil er auch der Autor geistreicher Erotika ist, die von der Aufklärung des Geistes durch erotische Erfahrung erzählen. Die hautnahe Sinnlichkeit von Mirabeaus Prosa ist eine herausfordernde Alternative zur tränennahen Gefühligkeit des empfindsamen Romans, von dem sich Caroline längst abgewendet hat. Die pulsierende Prosa des »flambeau de la Provence«, wie Mirabeau auch genannt wurde, trägt sie spielend über jene Normen und Konventionen hinweg, die ihrer Selbstverwirklichung bislang unüberwindliche Schranken gesetzt haben.
Hautnah erlebt Caroline die Zerschlagung der überkommenen Ordnung, die Wirren der französischen Besatzung und den Taumel der Freiheit. Im Winter 1792 /93 geht die deutsche Revolution in ihre entscheidende Phase, auch in privater Hinsicht. Therese Forster verlässt ihren Mann für einen anderen und setzt sich mit ihren Kindern nach Straßburg ab. Eine Mainzer Bürgerin, die sich im Jakobinerklub engagiert, schreibt: »Wie sehr müssen wir eine Konstitution lieben, die uns in unsere ursprüngliche Würde wieder einsetzt!« Die Republik berechtige sie zu der Erwartung, nicht länger »das Spielwerk« des Privatlebens der Männer sein zu müssen, wozu sie der Despotismus erniedrigte. Sie schließt mit der Frage: »Aber denken die Männer ebenso?«
Und was treibt Caroline? Sie zieht mit ihrer Tochter Auguste ganz in das Forster’sche Haus, regelt dem Strohwitwer, der mittlerweile Vizepräsident der von den Franzosen besetzten Gebiete ist, den Haushalt, betätigt sich als Männerversteherin – und verbringt im Januar 1793 nach einem Ball im Mainzer Redoutensaal eine leidenschaftliche Liebesnacht. Der Erwählte aber ist kein Witwer, überhaupt kein Mann von Erfahrung. Er ist nicht einmal Deutscher, sondern ein neunzehnjähriger französischer Leutnant. Schon bei ihrer Ankunft in Mainz hat Caroline bemerkt, dass die französischen Männer »im Durchschnitt schöner« seien als die deutschen. Vieles spricht dafür, dass sie in dieser Nacht zum ersten Mal in ihrem Leben sexuelle Erfüllung findet – eine Leidenschaft »nach allen Regeln der Leihbibliotheken« also, wie die mittlerweile aus Mainz verschwundene Therese einst mit Carolines Brieffreund Meyer. Und eine Liebesnacht mit Folgen: Caroline ist seitdem zum vierten Mal schwanger.
Noch ahnt sie davon nichts. Als sie vor den herannahenden preußischen Truppen im März 1793 zusammen mit ihrer Freundin Meta Forkel, deren Schwiegermutter und vier Kindern Mainz in Richtung Frankfurt verlässt, werden die Frauen verhaftet, verhört und, nachdem die Verbindung zu den Mainzer Jakobinern aktenkundig ist, im Militärgefängnis der Festung Königstein inhaftiert. Caroline gilt als Geliebte
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