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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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Forsters. Im Sommer erscheint sogar ein Schmähstück, das satirisch »Forsters Canapé« zum Reden bringt, auf dem Caroline und Meta es wild getrieben haben sollen – erotisch wie politisch. Der »Bürgerin Böhmer« wird dort in den Mund gelegt, »bei den Weibern« komme » demokratisieren und caressieren « [von französisch caresser: liebkosen, streicheln] »aus der nämlichen Quelle«. Könnten sie, »aus Alter oder andern Umständen, nicht mehr caressieren «, würden sie »desto ärger demokratisieren «. Auch für den anonymen Verfasser dieser Scharteke sind die politische und die sexuelle Revolution seiner Zeit zwei Seiten einer Medaille; der denunziatorische und frauenfeindliche Ton, in dem es geschrieben ist, bedeutet nicht, dass er auch darin unrecht hat.
    Zu dem Zeitpunkt, als das Stück erscheint, hat die Mainzer Republik nach viermonatiger Belagerung durch preußische Truppen bereits kapituliert. Die in der Stadt verbliebenen Jakobiner und ihre Angehörigen werden verhaftet. Caroline wird erst am 5. Juli aus der Haft entlassen, gerade noch rechtzeitig, bevor ihre Schwangerschaft zu offensichtlich wird. Deren Entdeckung, zumal sie »ein Kind des Feindes« trägt, hätte ihren Ruf gänzlich ruiniert und ihr die Witwenrente gekostet. Als Helfer in der Not eilt August Wilhelm Schlegel herbei. Caroline hat ihn nach Böhmers Tod in Göttingen kennengelernt, als er noch Student war, und er hat ihr damals bereits seine Liebe gestanden. Zusammen mit seinem zwanzigjährigen Bruder Friedrich wird er nun zum Beschützer, später auch zum Ehemann Carolines. In dem kleinen Ort Lucka, unweit von Altenburg, bringt Caroline das »Kind der Glut und Nacht«, wie sie selbst es nennt, zur Welt. Sie schreibt: »Wenn ich die Folge vor mir sehe – kann ich den Ursprung bereun? Eben diese brachte mich in die verzweiflungsvolle Lage, und sie ist’s nun, warum ich mir verzeihe.« Das kommt noch nicht ganz heran an jene berühmte Auskunft, die hundertfünfzig Jahre später die französische Schauspielerin Arletty gegeben haben soll, als ihre Affäre mit dem deutschen Luftwaffenoffizier Hans-Jürgen Soehring im von den Nazis besetzten Paris ruchbar wurde: »Wenn mein Herz französisch ist, mein Arsch ist international.« Aber es ist doch deutlich auf dem Weg dorthin. Friedrich Schlegel jedenfalls, der Caroline in Lucka betreut, die Geburt des Kindes miterlebt und in ihr seine philosophische Muse entdeckt, schwärmt von der »politisch-erotischen« Natur Carolines und fügt noch hinzu: »doch möchte das Erotische wohl überwiegend sein«.
    Der Rest ist beinahe schon Literaturgeschichte: Gemeinsam mit den Brüdern Schlegel und ihrem Kreis trägt Caroline in den nächsten Jahren den Impuls der Revolution in die Welt des Geistes und der Literatur. Die Jenaer Romantik ist ohne ihre Person nicht zu denken: Neben der Revolution als historischem Ereignis und Fichtes Ich-Philosophie ist Caroline, für die nur die sinnlich erfahrene Welt zählt, der dritte entscheidende Faktor der romantischen Geselligkeit. In seinem 1799 erscheinenden Roman Lucinde setzt Friedrich Schlegel ihr in der Titelheldin ein literarisches Denkmal: einer Frau, die »zugleich die zärtlichste Geliebte, die beste Gesellschaft und auch eine vollkommene Freundin« ist.

John Opie, »Mary Wollstonecraft«, um 1797,
© De Agostini Picture Lib./akg-images
    M. W. oder T. lauteten die Kürzel, mit denen sie Rezensionen aus ihrer Feder kennzeichnete. Mary Wollstonecraft, berühmt als Autorin von Eine Verteidigung der Rechte der Frau, war auch die erste professionelle Literaturkritikerin, die einzige Frau in einer Redaktion von Männern. Als Augenzeugin verfolgte sie, wie die politische Revolution in Paris erst siegte und dann in den Terror mündete, und entwarf ihr eigenes Konzept von Revolution aus dem Geist rebellischer Romane. Sie warb für einen Umsturz der weiblichen Lebensentwürfe und die Gleichheit von Mann und Frau in Sachen Liebe. Lesen war für sie nicht Flucht aus der Wirklichkeit, sondern Hinterfragung und Erneuerung des Lebens.

5
Paris, 1792
    Lese-Revolution: Mary Wollstonecraft
    Anfang September 1792, im vierten Jahr der Französischen Revolution, machen sich vier Londoner nach Paris auf, zwei Männer und zwei Frauen. Revolutionstourismus ist zu dieser Zeit nichts Ungewöhnliches; aus vielen Ländern Europas reisen Menschen, häufig Künstler und Intellektuelle, in die französische Metropole, um sich vor Ort einen Eindruck von den dortigen Umwälzungen zu

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