Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
es nicht gelesen.«
»Da haben Sie auch nichts versäumt, verlassen Sie sich darauf; es ist der grauenhafteste Unsinn, den Sie sich vorstellen können; es handelt von nichts anderem als einem alten Mann, der auf einer Wippe schaukelt und Latein lernt, Ehrenwort, von nichts anderem.«
Vorurteile gegen die Autorin (als Ehefrau eines Emigranten) vermischen sich in Thorpes peinlichem Redeschwall mit Unkenntnis des Textes. In Camilla hat die Unachtsamkeit des älteren Mannes nämlich schreckliche Folgen: Während er »Latein lernt«, stürzt seine achtjährige Nichte Eugenia von der Wippe und verletzt sich dabei so schwer, dass sie zeitlebens ein Krüppel bleibt. Und als ob das nicht reichte, sorgt die Verletzung obendrein dafür, dass bei ihr die Pocken ausbrechen, wodurch ihr Gesicht entstellt wird. Kein Wunder, dass der Heiratsantrag des Belesenheit vortäuschenden jungen Thorpe von Jane Austens Heldin Catherine geflissentlich ignoriert wird. Männer haben im vorwiegend weiblichen Romanuniversum Jane Austens nur dann eine Chance auf Anerkennung, wenn sie die zentrale Leidenschaft der Autorin wie ihrer Heldinnen teilen – Romane.
Die kleine Szene belegt aber auch, dass Jane Austen für ein Lesepublikum schrieb, bei dem sie die Kenntnis bestimmter Werke der Gegenwartsliteratur voraussetzen konnte. In mancher Hinsicht waren das genau die elfhundert Leute, deren Namen auf den ersten Seiten von Camilla, mit allen ihren Titeln versehen, ausgebreitet waren und unter die sich die hoffnungsvolle Jungautorin mit ihrer Subskription eingereiht hatte. »Camilla lebte im Schoß ihrer achtbaren Familie«, lautet einer der ersten Sätze von Fanny Burneys Roman. Achtbare Leute, das waren nahezu alle Leser von Camilla , und nahezu alle lebten sie im Schoß ihrer Familie. Wie auch Jane Austen.
Jane Austen war eine Pfarrerstochter. Ihr Vater, George Austen, stammte aus Kent und war schon mit sechs Jahren Waise. Dass er dennoch in Oxford studieren konnte, wo er auch als Geistlicher ordiniert wurde, hatte er einem wohlhabenden Onkel zu verdanken, der sich seiner annahm. Die Übertragung der Pfarre in dem Dörfchen Steventon in der Grafschaft Hampshire verdankte er einem zweiten reichen Verwandten. Und der Zukauf der Pfarre von Deane ganz in der Nähe, damit er seine wachsende Familie ernähren konnte, einem dritten. Man sieht schon hier, familiäre Beziehungen spielten bei den Austens eine entscheidende Rolle.
Das gilt auch für Jane, das siebte von acht Kindern und die zweite Tochter. Einer ihrer sechs Brüder war geistig zurückgeblieben, wohl ein Erbleiden. Alle acht Kinder aber überlebten, was in einer Zeit hoher Geburtensterblichkeit keineswegs selbstverständlich war. Und außer dem einen gingen alle sechs Söhne ihren Weg, machten zum Teil sogar steile Karrieren oder waren wie Edward vom Glück begünstigt. Nach und nach verließen sie jedenfalls das Elternhaus; James, der älteste, und Henry, Janes vier Jahre älterer Lieblingsbruder, studierten gemeinsam in Oxford. Die beiden Schwestern indes blieben im Schoß der Herkunftsfamilie, teilten sich sogar bis zu Janes Tod im Alter von einundvierzig Jahren ein Schlafzimmer. Beide blieben unverheiratet. Cassandra war einmal verlobt, aber der Erwählte, Geistlicher wie ihr Vater, starb auf einer Reise in der Karibik an Gelbfieber. Jane hingegen war noch nicht einmal verlobt. Es muss wohl zwei Liebeleien gegeben haben, aber sie führten zu nichts. Wer das bedauert oder romantische Episoden um das wenige herumspinnt, das wir darüber wissen, mag sich fragen, was wohl aus Jane geworden wäre, hätte sie etwa Tom Lefroy, die erste ihrer beiden »Lieben«, als Rechtsanwaltsgattin nach Irland begleitet. Sicher nicht die Autorin der Bücher, die sie oder er heute schätzt und verehrt.
Im Pfarrhaus zu Steventon herrschte eine im damaligen Bildungsbürgertum verbreitete Vorlesekultur, und das nicht nur als Abendunterhaltung: »Mein Vater liest uns morgen Cowper vor, was ich mir anhöre, wenn ich kann«, berichtet Jane etwa ihrer Schwester. Im Juni 1808 lasen sie gerade Marmion. Eine Erzählung vom Schlachtfelde von Flodden, die neue Versdichtung des später für seine historischen Romane berühmten Walter Scott. »Sollte mir Marmion wirklich gut gefallen?«, schrieb sie. »Noch bin ich nicht begeistert. James liest es jeden Abend laut vor – an den kurzen Abenden, er beginnt gegen zehn und wird vom Nachtessen unterbrochen.« Manchmal wurde der Zuhörerkreis durch Cousinen und Freundinnen
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