Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
hundert, standen die Leihbüchereien allen offen, unabhängig von Geschlecht und sozialem Status. Oft waren die Bücher, die man dort ausleihen konnte, nicht gebunden und durchs viele Lesen zerfleddert. Einige Büchereien erhoben eine Mitgliedsgebühr, bei anderen bezahlte man für jedes ausgeliehene Buch. Der mondäne Kurort Bath, in dem die Austens von 1801 bis 1806 lebten und wo der Vater 1805 starb, verfügte über drei Leihbüchereien, eine davon mit einem angeschlossenen Kaffeehaus für die Damen. Kleinere Leihbüchereien konnten nur existieren, indem sie den Verleih und Verkauf von Büchern mit anderen Angeboten und Dienstleistungen verbanden. Die Palette war groß. Das konnten etwa Arzneimittel, Tapeten (verbunden mit einem Tapezierservice), Spielkarten, ein Lotteriebüro oder ein Pianoverleih sein. Die Leihbücherei in Sanditon , Jane Austens letztem, unvollendet gebliebenem Roman, der nach dem Ferienort heißt, in dem er spielt, ist zugleich ein Galanteriewarenladen, der »all die nutzlosen kleinen Dinge« führt, die man als Frau nicht entbehren kann: Puderdosen, Knöpfe, Armbänder, Schnallen, Hüte, Tücher, Schals, Bänder, Fächer etc. Die Verbindung beider Geschäftszweige war insbesondere in kleinen Ortschaften nicht selten und zeigt, mit welcher Kundschaft der Betreiber einer Leihbücherei vor allem rechnete.
Vielleicht hätte diese Strategie auch »die arme Mrs Martin« befolgen sollen, die im Januar 1799 in Steventon oder der näheren Umgebung eine Leihbücherei eröffnete, wie wir aus einem Schreiben Jane Austens an ihre Schwester erfahren:
Ich habe eine sehr höfliche Einladung von Mrs Martin erhalten, mich als Abonnentin ihrer Leihbücherei einzuschreiben, und habe dementsprechend mein, oder vielmehr Dein, Einverständnis gegeben. Meine Mutter will das Geld dafür auftreiben. Als Anreiz zu abonnieren schreibt Mrs Martin uns, dass ihre Sammlung nicht nur aus Romanen besteht, sondern aus jeder Art Literatur usw. usw. Diesen Anspruch hätte sie sich bei unserer Familie, die aus begeisterten Romanlesern besteht und sich dessen nicht schämt, sparen können. Aber ich nehme an, aus Rücksicht auf die Selbsteinschätzung der Hälfte ihrer Abonnenten war das nötig.
Gut möglich, dass es genau dieser Anspruch war, der Mrs Martin das Genick gebrochen hat. Denn eineinhalb Jahre später ist sie, wie wir aus einem weiteren Brief erfahren, »mit ihrem Geschäft ganz und gar gescheitert«; selbst ihr Haus ist verpfändet worden. Während Romane in den Bibliotheken und Büchereien einer Großstadt wie London maximal ein Drittel der verfügbaren Titel ausmachten, betrug ihr Anteil in der Provinz siebzig und mehr Prozent. Man kann sogar sagen: Je provinzieller die Leihbücherei, desto deutlicher die Übermacht des Romans. Das ist eine Entwicklung, die Ende des 18. Jahrhunderts beginnt und sich im 19. Jahrhundert fortsetzt. Auch Emma Bovary, die wir in einem der nächsten Kapitel kennenlernen, wird ihren Lesestoff aus Leihbüchereien in der Provinz beziehen. Die Dezentralisierung des Zugangs zu Büchern und der Siegeszug des Romans sind zwei Aspekte einer einzigen Entwicklung gewesen.
Genauso wenig wie die Leserschaft war auch die Autorschaft der jungen Gattung von Männern dominiert. Wir waren diesem Phänomen schon bei den von Mary Wollstonecraft rezensierten Romanen begegnet. Während zwischen 1750 und 1780 die Zahl der von Männern verfassten Romane tatsächlich noch doppelt so hoch war wie die der »Frauenromane«, beginnt dieses Verhältnis in den späten 1780er Jahren zu kippen. Um 1800 dann war die Dominanz der Frauen schon offensichtlich, und im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts veröffentlichten zumindest in England in jedem einzelnen Jahr Autorinnen mehr Romane als ihre männlichen Kollegen. Die Publikation der Romane von Jane Austen erfolgte keineswegs gegen große Widerstände, wie die Legende will, sondern entsprach eher einem Trend: Romane, geschrieben von Frauen und gedacht in erster Linie für Frauen, mit weiblichen Hauptfiguren und Themen, beherrschten in dieser Phase zumindest den englischen Markt. Dieses Verhältnis beginnt sich in den 1820er Jahren wieder zugunsten der Männer zu verschieben; doch schon Mitte des Jahrhunderts gewannen Frauen, man denke in England nur an die Schwestern Brontë, an Elizabeth Gaskell oder George Eliot, und in Deutschland etwa an E. Marlitt, wieder an Terrain zurück. Im Unterschied zu anderen Bereichen der Kultur haben die Frauen auf dem Feld des
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