Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
des Einfühlungsvermögens.
Die Innovation, die Jane Austen an der Form des Romans ihrer Zeit vornimmt, hat so eine klare Adresse: die Leserin. Um der Leserin willen verteidigt und erneuert Jane Austen nämlich den Roman. Nicht dessen Form, sondern dessen Nutzen und Vergnügen gilt ihre vorrangige Aufmerksamkeit. Während durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch gerade in bürgerlichen Kreisen die weibliche Leselust weiterhin kritisch betrachtet und als eine Gefährdung der eigenen Person und als Gefahr für Familie und Gesellschaft gebrandmarkt wird, kehrt Jane Austen diese Perspektive um. Längst, so ihre Ansicht, kann es nicht mehr darum gehen, die weibliche Leselust grundsätzlich infrage zu stellen oder ihr Recht zu bestreiten. Vielmehr kommt es darauf an, sie mit der notwendigen Orientierung zu versehen, an der es ihr häufig noch fehlt. Jane Austen will die Leselust der Frauen über sich selbst aufklären. Alleinige Richtschnur dafür ist, ob die Lektüre die Unabhängigkeit des Denkens und der Lebensführung fördert. Nur darum geht es ihr.
Aus diesem Grund beschäftigt sie sich etwa in Die Abtei von Northanger so angelegentlich mit dem sentimentalen Liebes- und dem Schauerroman – jenen beiden Gattungen, die die Gemüter der damaligen Leserinnen stark beschäftigten. Catherine, die Heldin des Romans, ist eine passionierte Leserin, die sich unbeschwert und selbstvergessen, »mit ihrer gespannten, erregten und schaudernden Einbildungskraft«, in die zeitgenössischen Romane versenkt. Wie die Erzählerin in einer sehr persönlich gehaltenen Passage bemerkt, hat sie aus voller Absicht eine Leserin zur Heldin gemacht. Es sei eine »gängige, so engstirnige wie unkluge Gewohnheit« ihrer Kolleginnen, dass sie ihren Heldinnen kaum gestatteten zu lesen. Dadurch würden sie »genau die Werke herabsetzen, zu deren Zahl sie selbst doch beitragen, und sich dadurch mit ihren ärgsten Feinden verbinden«. Die ärgsten Feinde, dazu zählt sie jene Kritiker, die die ganze Gattung »nach Belieben in den Schmutz ziehen«:
Wir dürfen uns nicht gegenseitig im Stich lassen; schon hat man uns Wunden geschlagen. Obwohl unsere Geistesprodukte größeres und aufrichtigeres Vergnügen bereitet haben als jedes andere literarische Genre der Welt, ist über keine andere Gattung so hergezogen worden. Aus Stolz, Dummheit oder modischem Anpassungsbedürfnis sind unsere Feinde so zahlreich wie unsere Leser.
Das sind kämpferische, klare, aber auch ehrgeizige Worte einer damals noch jungen Autorin, mit denen sie sich direkt an ihre Leserschaft wendet. Es ist ein Appell zur Solidarisierung – gemeinsam nicht nur der geläufigen Kritik zu widerstehen, sondern auch die Romankunst auf eine Ebene zu heben, die ihren Möglichkeiten gerecht wird. Im Roman, so ihre Überzeugung, entfalten sich »die eindrucksvollsten Geisteskräfte«; in ihm werde der Welt »die umfassendste Kenntnis der menschlichen Natur, die gelungenste Darstellung ihrer Spielarten, die lebhafteste Fülle von Esprit und Humor in der gewähltesten Sprache dargeboten«.
Durchaus hohe Ansprüche: Weit entfernt davon, für Jane Austen nur irgendein Zeitvertreib zu sein, ist der Roman die zeitgemäße Form der Menschenkunde; die erste literarische Gattung, die das Interesse des Menschen am Menschen zu ihrer ureigensten Sache macht. Für die Autorin folgt daraus letztlich eine Fundamentalkritik an den zeitgenössischen Spielarten des Romans. Es ist jedoch keine verächtliche, sondern eine rettende Kritik, und es ist vor allem eine Kritik auf der Grundlage umfassender Kenntnis der zeitgenössischen Literatur. Ihr Kernpunkt lautet: Genres wie der sentimentale Roman oder der Schauerroman bleiben hinter den Möglichkeiten zurück, die ein Roman, richtig verstanden, hat. In gewisser Weise betrügen sie Leserin und Leser um das Beste, was ein Roman leisten kann, nämlich Selbsterkenntnis. Statt den Geist zu befreien und das eigene Leben zu hinterfragen, liefern diese Romane Spannungs- und Gefühlssurrogate. Gelingt es den Lesern nicht, sich aus freien Stücken oder wie im Falle von Catherine Morland durch die Hilfe eines klugen Liebhabers von solchen Hirngespinsten zu befreien, so werden sie Sklaven ihrer falschen Vorstellungen. Sie sind dann gefangen in dem, was der Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre im 20. Jahrhundert die mauvaise foi nennen wird – die Unaufrichtigkeit beziehungsweise Selbstlüge. Gerade aus ihr – daran glaubt Jane Austen zeitlebens ganz fest –
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