Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Sommer am Genfer See zu verbringen. Die Idee dazu stammte von Claire Clairmont, Mary Godwins Stiefschwester. Verwickelte Verhältnisse zeichneten diese Familie aus, die an die heutiger Patchworkfamilien erinnern. William Godwin, Marys Vater, hatte bald nach dem Tod Mary Wollstonecrafts wieder geheiratet – eine einfache, aber resolute und geschäftstüchtige Frau aus der Nachbarschaft, die zu diesem Zeitpunkt bereits von ihm schwanger war. Mrs Clairmont brachte zwei Kinder mit in die Ehe, besagte Claire und den drei Jahre älteren Charles. Godwins zweite Frau galt zwar als Witwe, in Wirklichkeit hatten ihre beiden Kinder jedoch verschiedene Väter, und verheiratet war sie mit keinem der beiden gewesen. Auch William Godwin steuerte neben Mary, der gemeinsamen Tochter mit Mary Wollstonecraft, noch ein weiteres Kind zum Flickwerk bei: Frances »Fanny« Imlay, die uneheliche Tochter seiner ersten Frau aus der Beziehung mit Gilbert Imlay. Zusammen mit dem 1803 geborenen William, dem gemeinsamen Sohn aus der neuen Ehe, waren die Kinder also zu fünft: Fanny, die Älteste, 1794 geboren; Charles, ein Jahr jünger; Mary, drei Jahre jünger als Fanny und ein Jahr älter als Claire; und schließlich William, der Benjamin.
Der Schriftsteller Percy Bysshe Shelley, ältester Sohn eines wohlhabenden Baronets, war im Jahr 1812 in diese komplizierte Familienkonstellation hineingeplatzt. Im Jahr zuvor hatte er, selbst erst neunzehn, spontan eine Sechzehnjährige geheiratet, eine ihm kaum bekannte Internatsfreundin seiner Schwestern, angeblich um sie aus der doppelten Tyrannei ihres Vaters und der Schule zu befreien. Doch die Ehe erwies sich als wenig fesselnd, seine Frau als ihm nicht ebenbürtig. Der hochbegabte, ephebenhafte Shelley, der stets ein Buch bei sich trug, war eine romantische Frühform des rebel without a cause, des Rebellen ohne ersichtlichen Grund. »Ich gehe weiter, bis ich gestoppt werde, und ich bin niemals zu stoppen«, soll er gesagt haben. Ein gemeinsam mit einem Studienfreund verfasstes Pamphlet über die Notwendigkeit des Atheismus hatte zu seinem Verweis von der Universität Oxford geführt. Er war ein glühender Anhänger der Französischen Revolution, in deren drittem Jahr er auf die Welt gekommen war, darüber hinaus ein Apologet der freien Liebe und ein Idealist, der es verstand, die Wirklichkeit schön- oder schlechtzureden, je nachdem, der aber auch gleichermaßen die Gabe besaß, Verklärung in die Mienen seiner Zuhörer zu zaubern. William Godwin, in dessen Buch Politische Gerechtigkeit er seine Ideale formuliert fand, bombardierte er mit Verehrerbriefen und stellte dem ständig von Geldnot geplagten Versorger der siebenköpfigen Familie finanzielle Unterstützung in Aussicht. Schon bald muss der Gedanke von ihm Besitz ergriffen haben, mit einer der beiden Töchter Mary Wollstonecrafts anzubändeln, die unter den Familienverhältnissen und insbesondere der ungeliebten Stiefmutter litten. Shelley war weniger ein Frauenversteher als ein Frauenbefreier: Seine erotische Phantasie wurde von dem Verlangen angestachelt, Frauen aus Verhältnissen der Abhängigkeit zu retten, in denen er sie verkümmern sah. An seiner Seite sollten sie aufblühen. Erst näherte er sich Fanny, der älteren Tochter. Mrs Clairmont entzog sie jedoch dem Einfluss des Poeten, indem sie Fanny für längere Zeit nach Wales schickte. Daraufhin übertrug er sein Verlangen auf die jüngere Tochter, die sechzehnjährige Mary. Am Grab der Mutter auf dem Friedhof von St Pancras, wohin sich Mary Wollstonecrafts Tochter von Zeit zu Zeit mit ihren Büchern flüchtete, erklärten sich die beiden im Juni 1814 ihre Liebe. Einen Monat später brannte das Paar heimlich nach Paris durch und ließ mit Harriet Shelley eine erneut schwangere Ehefrau mit einem Baby und mit William Godwin einen so verzweifelten wie wütenden Vater zurück. Die sechzehnjährige, in alles eingeweihte Claire, die während der heimlichen Treffen des Liebespaars immer vor der Laube auf und ab spaziert war, begleitete die beiden – um ihr Französisch aufzubessern, wie sie nicht müde wurde zu betonen.
Aber das war nicht der alleinige Grund. Die launische, labile junge Claire wurde von einem heftigen Verlangen nach Romantik und Abenteuer getrieben. Sie hatte sich in Shelley verliebt und muss sich vorgenommen haben, dessen Theorie von der freien Liebe umzusetzen; und da der Platz der Geliebten an Shelleys Seite schon besetzt war, hielt sie nach einem angemessenen Ersatz
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