Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
wird Claire interessanterweise gar nicht erst erwähnt. Die Unterhaltungen bestreiten vor allem Byron und Shelley, die sich stundenlang über ihre Dichtungen und ihre konträren Weltanschauungen austauschen. Während Shelley der festen Überzeugung ist, die Poesie könne die Welt nicht nur erkennen, sondern auch verändern, und er im Grunde seines Herzens Anhänger von Jean-Jacques Rousseau bleibt, der an das Gute im Menschen glaubt, versteht sich sein Gegenüber als ein Mann der Tat; Byron ist ein Realist, Libertin und Zyniker, viel zu aufrichtig, um die Faszination zu verleugnen, die das Böse auf ihn ausübt. »Lord Byron ist ein überaus interessanter Mensch«, schreibt Shelley dieser Tage nach England; jedoch »ein Sklave der niedrigsten und gewöhnlichsten Vorurteile« und »toll wie der Wind«. Byron nennt seinen Gesprächspartner hingegen »die Schlange«, und das nicht nur wegen der Geschmeidigkeit und Lautlosigkeit, mit der der schlanke Mann sich fortbewegt (während Byron leicht hinkt), sondern auch wegen seines unbequemen, unberechenbaren Verstandes.
Mary erinnert sich später daran, bei den Gesprächen »eine hingebungsvolle, aber beinahe völlig stille Zuhörerin« gewesen zu sein. Unvermögen und Schüchternheit hätten sie daran gehindert, sich in die Unterhaltungen einzumischen. Das verbindet sie in mancher Hinsicht mit Dr. Polidori, dessen Engagement Byron schon bald zu bedauern beginnt. Nicht nur, dass der Doktor ständig kränkelt und schlechte Laune hat, er sieht sich in jeder Hinsicht auch als Rivale des großen Dichters. In seiner Reisetasche führt er das Manuskript eines Dramas mit, an dem er schreibt, und John Murray, Byrons Londoner Verleger, soll ihm sogar 500 Pfund in Aussicht gestellt haben, wenn er ein publizierbares Tagebuch seiner Reise mit Byron abliefert. Voller Misstrauen beäugt der Lord seinen Angestellten, wenn er sich mit unschöner Regelmäßigkeit Notizen in seiner Kladde macht, über deren Inhalt er partout keine Auskunft geben will. Aus Rache nennt Byron Polidori auch vor Dritten dann und wann »Pollydolly«, was den dünnhäutigen jungen Mann, der um Anerkennung ringt, völlig aus der Fassung bringt.
Solange das Wetter es einigermaßen zulässt, bleibt der Doktor den abendlichen Zusammenkünften fern und reitet stattdessen nach Genf. Dort hat er die Bekanntschaft einer Arztfamilie gemacht, deren Abendgestaltung mit Musik und Tanz ihm mehr zusagt als der Schlagabtausch der beiden Dichter in der Villa Diodati. Den Daheimgebliebenen deutet er an, sich verliebt zu haben. Während eines schweren Unwetters verirrt er sich auf dem Rückweg sogar einmal und muss die Nacht in einem Wirtshaus verbringen. In derselben Nacht steht Byron auf dem Balkon seiner Villa und lässt sich von dem Naturschauspiel zu Versen anregen, in denen er die Gewalt des Sturms mit der Pracht der dunklen Augen einer Frau vergleicht.
Mitte Juni dann, als der Regen stärker wird, kommt es zu einem kleinen Unfall. Zwischen zwei Regengüssen treten Byron und Polidori auf den Balkon hinaus und erblicken Mary, die gerade den Hügel zur Villa heraufsteigt und dabei wegen der Nässe immer wieder ins Rutschen gerät. Byron wendet sich an seinen Reisearzt: »Sie wollen doch immer so galant sein, dann sollten Sie die kleine Anhöhe hinunterlaufen und der Dame den Arm anbieten!« Polidori rennt los, doch als er gerade mit einem eleganten Sprung über ein Mäuerchen hinwegsetzen will, rutscht er selbst auf der nassen Wiese aus und verstaucht sich den Fuß. Byron hilft, ihn hereinzutragen und auf ein Sofa zu betten. »Wusste gar nicht, dass Sie so viel Gefühl haben«, bemerkt Polidori bissig.
Schluss mit den abendlichen Ausflügen nach Genf. Vielleicht um ihn mit seiner unangenehmen Lage zu versöhnen, bittet die Runde Polidori, aus seinem Drama vorzulesen, worauf er nach anfänglichem Sich-Zieren eingeht. Geht die Lesung im Gelächter der anderen unter? Oder tritt lähmendes Schweigen ein, nachdem er geendet hat, unsicher geworden angesichts der zunehmenden Unachtsamkeit seiner Zuhörer? Jedenfalls ist die Präsentation ein Desaster und Polidori grenzenlos gekränkt. Einmal mehr hat Byron ihn »Pollydolly« genannt. Vielleicht ist er aber auch nur das billige Opfer, an dem die Gesellschaft ihren Unmut über das lausige Wetter auslässt.
Eine Lektüre, die von allen begrüßt wird, sind hingegen die Gespenstergeschichten aus einem Buch mit dem vielversprechenden Titel Fantasmagoriana . Polidori hat sich vor wenigen
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