Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
Tagen bei einer Genfer Leihbücherei als Mitglied eingeschrieben und das Buch dort wohl ausgeliehen. Es ist die vor einigen Jahren erschienene französische Auswahl einer deutschen Anthologie, im Original einfach Gespensterbuch betitelt. Es handelt sich um Geschichten, die den Zuhörern die begehrten Gruselschauer über den Rücken jagen sollen: Von einem untreuen Liebhaber, der meint, seine Braut zu umarmen, und entdecken muss, den bleichen Geist einer von ihm Verlassenen in den Händen zu halten. Von einem sündhaften Vater, dazu verdammt, allen jugendlichen Söhnen seines Hauses den Todeskuss zu geben: Als eine monströse, schattenhafte Gestalt betritt er um Mitternacht ihre Kammer und küsst die Stirn der friedlich Schlummernden, die von diesem Moment an dahinwelken wie Blumen, deren Stiel vom Wind geknickt wurde. Die in ihre Sammlung aufgenommenen Gruselgeschichten hatten die Herausgeber zuvor ausgiebig auf ihre Wirkung hin getestet, unter anderem auf einer Dresdner Teegesellschaft, der zuweilen auch Caspar David Friedrich, Johann Ludwig Tieck, Carl Gustav Carus und Heinrich von Kleist angehörten. Die Erzählungen hatten sich also bewährt, und das taten sie auch in französischer Fassung, während der Regen an die Scheiben prasselte und zuweilen Blitze den See und die Gebirgslandschaft dahinter in fahles Licht tauchten.
Gleich eine der ersten Geschichten des Sammelbandes ist eine Rahmenerzählung, eine beliebte Form bei solchen Stoffen: Jeder der Anwesenden soll eine Gespenstergeschichte erzählen. »Zwischen uns sei abgemacht, niemand suche nach einer Erklärung, selbst wenn sie das Siegel der Wahrheit trägt; denn Erklärungen bringen Gespenstergeschichten um alles Vergnügen.« Den Gastgeber Byron bringt das auf eine Idee, die er in dem ihm eigentümlichen Brustton der Überzeugung vorträgt, der signalisiert, dass jeder Widerspruch zwecklos ist: »Jeder von uns wird eine Gespenstergeschichte schreiben.« Gesagt, getan, gleich am nächsten Tag machen die Anwesenden sich an die Arbeit; schließlich will man sich vor dem Gastgeber und auch voreinander keine Blöße geben. Das gilt auch und gerade für Mary, die aus einer Familie stammt, in der, wie Claire sagt, nur derjenige etwas zählt, der sich literarische Meriten erwirbt. Sie selbst weiß nur zu gut, dass sie dazu nicht in der Lage ist; der belesenen Tochter Mary Wollstonecrafts und William Godwins hingegen ist diese Begabung gleichsam in die Wiege gelegt worden.
Wie kaum anders zu erwarten, wird Byron seiner Rolle als Primus auch dieses Mal gerecht. Schon am nächsten Abend präsentiert er seine Geschichte mit dem vielversprechenden Titel Der Vampyr . Kleiner Schönheitsfehler: Es ist ein Fragment und wird es auch bleiben. Geschildert wird, wie der Erzähler zusammen mit einem etwas älteren Mann, einem Augustus Darvell, zu einer Kavalierstour aufbricht. Während der Reise lassen Darvells Kräfte täglich nach. In der Nähe eines türkischen Friedhofs teilt er mit, seine Reise sei hier zu Ende, er sei an seinem Bestimmungsort angekommen. Seinem Begleiter nimmt er noch den Schwur ab, seinen Tod geheim zu halten. Der Erzähler zeigt sich schockiert darüber, mit welcher Geschwindigkeit der Leichnam des Mannes verfällt. Innerhalb nur weniger Minuten ist sein Gesicht fast schwarz. Die Geschichte endet mit der Bestattung Darvells auf dem Friedhof. »Zwischen Staunen und Trauer war ich ohne Tränen«, schließt der Erzähler.
Man kann sich die Reaktion der Zuhörer vorstellen: Gut und schön – aber gruselig oder gespenstisch ist diese Geschichte nicht, übernatürlich schon gar nicht. Ein Mann stirbt, das kommt vor. Aber wozu das Versprechen? Und wieso dieser Titel? Die Geschichte sei noch nicht zu Ende, erläutert Byron. Der Erzähler kehrt nach England zurück. Er begibt sich in Gesellschaft und glaubt, ein Gespenst zu sehen: Der Mann, dessen Körper vor seinen Augen zerfallen ist, dieser Mann ist gerade dabei, seine Schwester zu verführen. Doch aufgeschrieben hat Byron das nicht, nur seinen Zuhörern in der Villa Diodati erzählt, während draußen der Regen in Starkregen übergeht und am Firmament die Blitze zucken.
Polidori ist an diesem Abend schon wieder außer Haus, was er in mehrfacher Hinsicht bereuen wird. Er verpasst dadurch nicht nur den Auftakt der Gespenstergeschichten, sondern tut auch seinem verstauchten Fuß nichts Gutes. Bei dem Versuch zu tanzen bekommt er schreckliche Schmerzen. Am nächsten Tag geht es ihm richtig schlecht. Nach
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