Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
Vom Netzwerk:
erkannte er sofort, ihre Geschichten waren so gebaut, dass sie sich für den Abdruck in Fortsetzungen eigneten. Mit geringem Aufwand ließen sich die richtigen Schnitte platzieren. Am Ende jeder Folge musste etwas geschehen, das Leserin oder Leser auf den Fortgang in der nächsten Ausgabe gespannt sein ließ, das konnte ein eskalierender Streit sein oder ein Kind, das in einen Teich fiel, ohne dass Rettung in Sicht war; es konnte die Begegnung mit einer geheimnisvollen Hausbewohnerin sein oder auch nur ein spannungsgeladener, hoch emotionaler Satz, wie er etwa die vierte Folge von Das Geheimnis der alten Mamsell , E. Marlitts zweitem Roman, beschließt, wenn Felicitas, die weibliche Hauptfigur, sagt: »Ich werde es darauf ankommen lassen!« Während Eugène Sues Geheimnisse von Paris noch häufig daran krankten, dass der Autor mit Fußnoten an frühere Ereignisse erinnern musste, ohne die das gerade Erzählte nicht zu verstehen war, oder dass die Chronologie des Geschehens unklar blieb, löste E. Marlitt derartige Probleme des seriellen Erzählens schon wesentlich souveräner und auch eleganter. (Man muss aber auch sagen, sie hatte es etwas leichter als Sue, da sie sich nicht an der Tagesaktualität orientierte.) Es ist deshalb nicht ganz gerecht, wenn die zum Teil harte Kritik an ihren Romanen, wie sie von der Literaturwissenschaft formuliert wurde, sich ausschließlich auf die im Nachhinein erschienenen Buchausgaben stützt. Zumindest die Erzähltechnik Marlitts lässt sich angemessen nur würdigen, wenn man im Auge behält, dass die Geschichten als Fortsetzungsromane konzipiert wurden. Heutige Fernsehserien wie etwa Sex and the City oder unlängst Downton Abbey haben das Prinzip des seriellen Erzählens aufgegriffen und es darin zur Meisterschaft gebracht. Häufig ohne es zu wissen, verdanken sie E. Marlitt sehr viel.
    Als Eugenie John zur Gartenlaube stieß, betrug die Auflage des Blattes annähernd hunderttausend Exemplare. Binnen zehn Jahren stieg sie noch einmal um das Vierfache, und diese rasante Steigerung ist im Wesentlichen ihren Romanen zu verdanken. Die Leser rissen sich das neue Blatt förmlich aus der Hand. Dienstboten verbargen sich unter Treppenaufgängen, um die neueste Episode der Reichsgräfin Gisela oder des Heideprinzeßchens zu verschlingen, bevor sie das Blatt dann der Herrschaft aushändigten. Da es sich um eine Familienzeitschrift handelte, die auch in Cafés, Leihbibliotheken und Lesekabinetten auslag, schätzt man die Leserschaft der Gartenlaube und insbesondere der Fortsetzungsromane E. Marlitts zu dieser Zeit auf zwei bis fünf Millionen. Doch beschränkte sich der überwältigende Erfolg keineswegs auf Deutschland: Unmittelbar nach Beendigung des Erstabdrucks im Wochenblatt erschienen ihre insgesamt zehn Romane in Buchform und wurden sodann rasch ins Französische und Englische übersetzt. In den USA etwa waren Marlitt-Romane durchgängig in mehreren Auflagen und Ausgaben verbreitet; sie trugen dazu bei, eine amerikanische weibliche Lesekultur zu schaffen und den Amerikanerinnen ein Bild von Deutschland zu vermitteln. E. Marlitt war nicht nur die erste deutsche, sie war auch die erste internationale Bestsellerautorin. Von ihren Honoraren baute sie sich ein eigenes Haus, das genügend Platz für die Familie bot und zugleich behindertengerecht war; als sie 1871 dort einzog, war sie eine gehunfähige Invalidin.
    E. Marlitts Romane erzählen Geschichten von jungen, unverheirateten Frauen, die ihren Weg ins Leben suchen und denen es dabei um Anerkennung und Selbstbehauptung geht. Dass am Schluss stets die Heirat aus Liebe steht, ist mehr als ein Zugeständnis an das Genre des Trivialromans, vielmehr gehört diese Art des Happy Ends zu der hier erzählten weiblichen Suche wesentlich dazu. Der europäische Frauenroman (im Sinne eines Romans mit einer Frau als Heldin), wie er sich seit dem 18. Jahrhundert ausgehend von Pamela und Clarissa entwickelt, kennt zwei Grundmuster: Er ist entweder Verführungsroman mit einem in der Regel tragischen Ende (Clarissa siecht dahin, Emma Bovary nimmt Arsen) oder folgt der Mär vom Aschenbrödel (Pamela gewinnt und »zähmt« Mr B., Jane Austens Elizabeth hält es ebenso mit Mr Darcy, Charlotte Brontës Jane Grey mit Edward Rochester). E. Marlitt hat sich von Anfang an für die zweite Version entschieden, ist aber zugleich der Korrektur gefolgt, die schon Richardsons Pamela an dem Archetypus vornahm: Danach sind es nicht nur angeborene, sondern auch erworbene

Weitere Kostenlose Bücher