Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
veröffentlicht.
Doch auch diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. Trotz seines Erfolgs gerät Alvignani in eine Lebenskrise. Er reist nach Palermo, Marta entgegen; sein Brief an sie ist eine Hymne auf das Leben. Und es gelingt ihm tatsächlich, Marta zu einer außerehelichen Beziehung zu verführen, doch sein Angebot, mit ihm nach Rom zu kommen, schlägt sie aus. Jetzt, da sie den Fehltritt wirklich begangen hat, trifft sie ihren Ehemann Rocco am Totenbett ihrer Schwiegermutter wieder, die von der Familie seinerzeit aus ähnlichen Gründen verstoßen wurde. Und er entsinnt sich seiner alten Leidenschaft für seine Frau und will Marta zurückhaben.
Ihre Unbefangenheit entzückt ihn. Könnte es sein, fragt sich Max Werner, ein junger Deutscher in Paris, dass sich hinter dem offenen, durchgeistigten Gesicht der jungen Russin, die er gerade nächtens in einem Café des Quartier Latin kennengelernt hat, Leidenschaft und Sinnlichkeit verbergen? Trotz ihres Äußeren, das ihn an eine der schlanken, madonnenhaften Erscheinungen erinnert, die die präraffaelitischen Maler so schätzten, scheint ihm etwas Aufregendes von Fenitschka oder Fenia auszugehen, wie die junge Frau, die in Zürich studiert, von ihren Bekannten gerufen wird. Und das trotz der Abneigung, die er für gelehrte Frauen eigentlich empfindet.
Der Morgen dämmert schon, als er sie nach Hause begleitet. »Wenn ich jetzt eine Tasse starken Kaffee bekommen könnte«, sagt sie. »Dann brauchte ich mich zu Hause nicht erst hinzulegen, und der Tag wäre nicht verloren.« Eine Nacht ohne Schlaf ist sie gewohnt. »Ich habe vorzugsweise nachts bei den Büchern gesessen«, erklärt sie ihm. »Wenn’s um einen her so still ist …«
»Das klingt doch wirklich rein wahnsinnig, wenn man ein junges Mädchen so etwas sagen hört«, erwidert er fast gereizt. »Ich, so wie ich hier stehe, bin eben erst der Bücherstudiererei entlaufen wie dem ärgsten aller Frondienste. Und Sie – eine Frau – spannen sich freiwillig hinein.« Er sitzt seit einem Jahr an seiner Doktorarbeit. Berufsziel: Professor.
»Warum soll denn das ein Frondienst sein?« Sie blickt erstaunt auf. »Das, was unsern Gesichtskreis erweitert, uns das Leben aufschließt, uns selbstständig macht? Nein, wenn irgendetwas in der Welt einer Befreiung gleicht, ist es das Geistesstudium.«
»Aber mein Fräulein, da irren Sie sich nun wirklich! Es ist im Gegenteil das Beschränkendste, Einschränkendste, was es auf der Welt gibt! Die Wissenschaft führt an der Wirklichkeit des Lebens, mit all seinen Farben, all seiner Fülle, seiner widerspruchsvollen Mannigfaltigkeit, völlig vorbei – sie erhascht von alledem nur eine ganz blasse, dünne Silhouette. Je strenger ihre Erkenntnismethoden sind, desto größer ist auch ihr Verzicht auf das wirkliche Erfassen selbst des kleinsten Lebensstückchens. Deshalb ist der Wissenschaftler, der ihr dient, an so viel bloße Schreibtischexistenz und geistige Bleichsucht gebunden.«
Ihre Entgegnung kommt rasch und konzentriert, ganz eingenommen von ihrer Sache. »Für uns Frauen, für uns, die wir erst seit so kurzem studieren dürfen, ist es durchaus nicht so, wie Sie das sagen; für uns bedeutet es keine Askese und keine Schreibtischexistenz. Wie sollte das auch möglich sein! Wir treten ja damit nun grade mitten in den Kampf hinein – um unsre Freiheit, um unsre Rechte, mitten hinein in das Leben! Wer von uns sich dem Studium hingibt, tut es nicht nur mit dem Kopf, mit der Intelligenz, sondern mit dem ganzen Willen, dem ganzen Menschen! Er erobert nicht nur Wissen, sondern ein Stück Leben voll von Gemütsbewegungen. Was Sie von der Wissenschaft sagen, klingt so, als wäre sie nur noch die passende Beschäftigung für Greise, für abgelebte Menschen. Aber vielleicht seid nur Ihr greisenhaft. Bei uns begeistert sie die Starken, die Jungen, die Frischen!«
Unter dem Vorwand, ihr den gewünschten Kaffee verschaffen zu können, führt Max Werner die junge Russin in sein Hotel. Doch sie widersetzt sich seinen zudringlichen Annäherungsversuchen. Ein Jahr später begegnen sich die beiden in St. Petersburg wieder. Fenitschka hat inzwischen in Zürich promoviert und wartet darauf, eine Stelle als Lehrerin antreten zu können. Hinter dem Rücken ihrer Familie trifft sie sich mit einem Mann, der ihre große Liebe zu sein scheint. Als die Heimlichkeit der Beziehung für beide zu belastend wird und die Gefahr besteht, dass ihre Treffen seltener werden könnten, schlägt der Mann
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