Frauen verstehen mehr von Liebe
anderen Tisch verlangt.
Als sich Karl erheben wollte, hielt Vera ihn noch einmal kurz zurück. Sie wiederholte ihre Frage: »Was habe ich gesagt?«
»Daß ich Ihnen keine solchen Komplimente machen darf.«
»Richtig, das dürfen Sie auch nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich dafür anfällig bin, wenn ich den Eindruck habe, daß sie ernst gemeint sind –«
»Das sind sie!«
»Na eben, und das ist das Gefährliche für mich. Ich bin ein schwaches Mädchen, wissen Sie, und ich wehre mich dagegen, daß mir das zu oft nachgewiesen wird. Besonders von Ihnen nicht.«
»Besonders von mir nicht?«
»Nein.«
»Bin ich Ihnen so unsympathisch?«
»Im Gegenteil – und das ist der Grund.«
Sie blickten einander an. Genau das, was die jetzt zu mir gesagt hat, dachte Karl, hätte ich auch zu ihr sagen können; es hätte die gleiche Gültigkeit.
Unvermittelt ließ Vera den Namen dessen fallen, der hier unsichtbar anwesend war, indem sie sagte: »Sie haben ganz andere Augen als ihr Freund Albert.«
Richtig, den dürfen wir nicht vergessen, durchfuhr es ihn. Dann erhoben sich beide gleichzeitig von ihren Plätzen.
Einer alten Gewohnheit folgend, ließ Vera den Blick über den Tisch schweifen, wobei sie sagte: »Haben wir auch alles?«
Gina trat noch einmal heran. Glutvoll war ihr Blick, als sie Karl fragte: »Sie kommen wieder?«
»Bestimmt, mein Kind.«
Und Gina entließ ihn mit der Versicherung: »Ich sein nicht mehr Kind. Ich sein so wenig Kind wie Sie.«
War das eine Rüge? Oder ein Versprechen?
Eine Antwort darauf schien ganz rasch Vera gefunden zu haben, denn sie sagte anzüglich zu Karl, als sie das Lokal verließen: »Sie sind bei der nicht als Babysitter gefragt, wissen Sie. Und ob ich wiederkomme, das hat sie auch nicht interessiert.«
Es war halb eins. Trotzdem zeigten sich noch zahlreiche Fußgänger auf den Straßen, deren Stimmen laut von den Häuserwänden widerhallten, was darauf schließen ließ, daß um diese Zeit die meisten von ihnen einen über den Durst getrunken hatten. Richtiggehend blau torkelten aber nur wenige dahin. Fahrzeugverkehr war kaum mehr zu verzeichnen, wenn man absah von Taxis, deren Geschäft jetzt blühte.
Vom ›Palais-Keller‹ bis zur Tiefgarage am Lenbachplatz, wo Veras Wagen stand, waren es fünf Minuten. Auf halber Strecke sagte Vera: »Ich fahre Sie noch nach Hause, Karl.«
»Das werden sie nicht tun. Ihr Weg ist noch weit genug. Schaun Sie, daß Sie ins Bett kommen. Ich laufe zu Fuß. Es ist mir schon unangenehm genug, daß nicht ich Sie nach Ottobrunn bringen kann.«
»Ich fahre Sie nach Hause!«
»Nein!«
»Doch!«
Jeder beharrte auf seinem Standpunkt, dabei hätten sie sich den ganzen Streit sparen können, denn als sie die Tiefgarage erreichten, stellten sie fest, daß sie abgeschlossen und weit und breit niemand aufzustöbern war, der einen Schlüssel gehabt hätte.
»Wie ist denn das möglich?« fragte Vera sich selbst verstört.
Sie hatte wohl eine Neueinführung der Hausverwaltung nicht mitbekommen.
Ihr Blick war ratlos.
»Was mache ich jetzt?«
Karl warf die S-Bahn in die Debatte, und sie hasteten im Laufschritt zum nächsten U-Bahnhof am Karlsplatz, erfuhren dort jedoch nur, daß die letzte Bahn in dieser Nacht schon weg sei.
Und wieder fragte Vera: »Was jetzt?«
»Kommen Sie nur nicht auf die Idee, mit dem Taxi zu fahren«, schloß Karl diese Möglichkeit aus.
»Das werde ich aber tun müssen«, seufzte Vera.
»Und ein Vermögen dafür bezahlen – nee, nee«, schüttelte Karl den Kopf.
»Dann sagen Sie mir, was mir sonst übrigbleibt. Im Hotel schlafen?«
Plötzlich grinste er.
»Ja.«
»Das würde doch nicht weniger, sondern mehr als ein Taxi kosten.«
»Das kostet Sie gar nichts.«
»Daß ich nicht lache. In welchem Hotel?«
»Im Hotel ›Thaler‹.«
»Nein!« stieß Vera spontan hervor.
»Warum nicht?«
»Welche Frage! Es handelt sich doch da um Ihre Wohnung oder um Ihr Atelier.«
»Meine Wohnung und mein Atelier sind bei mir dasselbe.«
»Um so schlimmer. Wir würden also in einem Raum nächtigen?«
»Nein.«
»Nein? Erklären Sie mir das mal.«
»Ich bringe Sie hin, zeige Ihnen alles und verschwinde wieder.«
»Ach nee. Und wo wollen Sie unterkommen?«
»Bei meinem Freund. Ich läute ihn heraus.«
»Albert?«
»Ja.«
»Erlebt der das öfters?«
»Mit mir? Nein.« Karls Grinsen verstärkte sich. »Sie sind der erste Fall, der so abläuft.«
»Wie abläuft?«
»Daß ich die Stätte räume, nachdem sie Ihnen zur
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