Frauenbataillon
bringen die Staatsmänner um, die uns so einen Krieg eingebrockt haben. Ich will Ihnen eins sagen, meine Herren: Ich hasse meine Aufgabe! Ich bin Förster, und ich ginge jetzt viel lieber durch einen Sommerwald und würde die Tiere beobachten, das Eichhörnchen, das von Ast zu Ast turnt, eine Hummel, die von Blüte zu Blüte summt, einen Käfer, der sich durch den Graswald quält oder einen Vogel, der seine Brut großzieht. Alles wäre mir lieber, als hier am Donez Mädchen aufzulauern und zu erschießen. Ich nehme an, Sie denken und empfinden nicht anders. Aber da gibt es eben ein Phänomen, das wir vielleicht erst, wenn wir diesen Krieg überlebt haben, zu analysieren in der Lage sein werden: Man hat uns in eine Uniform gesteckt und einen Befehl gegeben, und siehe da – unsere Hirne schalten ab und tun nur noch das, was man ihnen eingeblasen hat. Und sie tun es präzise und maschinell, denn eine Maschine kennt weder Skrupel noch Logik … Wir sitzen hier mitten in Rußland und wundern uns, warum die Russen uns hinaushaben wollen! Wir haben ihr Land erobert und verbrannt, die Bevölkerung verjagt, getötet oder abtransportiert, und tun so, als ob wir nicht verstehen könnten, warum sie uns hassen. Millionen sind gefallen, Hunderttausende in Gefangenschaft, in jeder Familie gibt es Verluste, die Städte sind Ruinen, das Land ist von Bomben und Granaten umgepflügt – und wir stehen sprachlos vor der Tatsache, daß uns die Russen nicht mehr mögen! Irgendwie, meine Herren, ist das doch wirklich phänomenal! Wir werden diesen Widerspruch in seiner ganzen Größe erst erkennen, wenn wir die Uniform wieder abgelegt haben. Solange wir diesen grauen Rock tragen, tropft jede logische Argumentation von uns ab wie Wasser von einem Wachstuch.«
»Feldwebel, das reicht schon für dreimal Tod durch Erschießen!« sagte der Regimentskommandeur gemütlich. »Sie denken wohl, unter uns Pastorensöhnen kann man so eine Lippe riskieren! Immerhin, es beweist: Angst kennen Sie nicht! Vor nichts und niemandem!«
»Ich wollte erklären, warum ich Scharfschütze bin. Da war zuerst der Befehl. Sicher, ich hätte versuchen können, ihn zu umgehen, indem ich dauernd nur Fahrkarten schieße. Bloß hätte mir das niemand abgenommen – mein Ruf als treffsicherster Förster eilte mir bei allen Truppenteilen voraus. Es gibt da ein Empfehlungsschreiben meines Forstrats zum Kommandeur des Wehrbereichskommandos, das in Kopie immer mitlief. Trotzdem – ich hätte es versuchen können, vielleicht mit einer nervösen Augenkrankheit, die den Ärzten stets ein Rätsel bleibt. Ein Zucken, das jedes Zielen unmöglich macht. Aber dann haben sie mit mir genau dasselbe gemacht, was die da drüben mit den Mädchen machen: Man hat mir Fotos gezeigt, Fotos von toten Kameraden mit sauberen, millimetergenau plazierten Kopfschüssen. Schüsse, exakt unter dem Stahlhelmrand. Schüsse, genau ins Herz. ›Das waren sibirische Scharfschützen!‹ hat man uns gesagt. ›Seht euch die Fotos an – so schießen die Sibirier! Unsere Verluste durch sie gehen schon in die Tausende. Gegen sie kommen wir nur an, wenn wir ebenso gute Schützen haben …! Mann gegen Mann, da gibt es nichts anderes! Das ist eine ganz besondere Form des Krieges!‹ Nun gut, wir haben das eingesehen – und so wurde ich Scharfschütze. Und dann erfuhren wir, daß hier, im Gebiet der sowjetischen 7. Garde-Armee, eine Frauenabteilung das Einzeltöten übernommen hatte, und daß diese Frauen noch viel besser und präziser schießen als die Männer. Glauben Sie mir, ich habe mich innerlich dagegen gestemmt! Ich habe mir gewünscht, nie eines dieser Mädchen ins Visier zu bekommen. Auf eine Frau schießen – undenkbar! Aber dann waren da wieder die Fotos, die mir bei der Division gezeigt wurden – Kopfschüsse! Und jeder dieser Schüsse ging auf das Konto dieser Mädchen! Nie hätte ich geglaubt, daß man einfach nur denken kann: ein Feind! Weiter nichts! Und: Sei schneller und besser als er! Aber seit der Liquidierung unserer zehn Kameraden von der MG-Abteilung denke ich eben nur noch so.«
Hesslich legte die erloschene Zigarre in einen gläsernen Aschenbecher und blickte in die Runde. »Das wäre die Antwort auf Ihre Frage, was wohl in diesen Mädchen vorgeht. Man muß nur wissen, was in uns vorgeht, dann weiß man es!«
»Ich habe Sie zum Oberfeldwebel eingereicht, Hesslich«, sagte der Regimentskommandeur und stand auf. Hesslich schnellte hoch.
»Verbindlichsten Dank, Herr
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