Frauenbataillon
Deckung gesprungen, da sie bis jetzt noch nicht wußten, ob die beiden Deutschen die einzigen Feinde waren, die sich im Haus befanden. Vor ihnen saß Schanna auf der Erde, die Hände vor das Gesicht gepreßt, und der Soldat, den sie umgestoßen hatte, rappelte sich sogar auf. Jetzt wurde deutlich, daß er eine Rot-Kreuz-Binde trug, während der ›Bulle‹, wie Marianka ihn genannt hatte, auf dem Rücken lag und erbärmlich stöhnte.
»Ein Sanitäter …«, flüsterte Lida und rührte sich nicht, als Ursbach aufstand, die Hand hob und die Spritze zeigte. »Er ist hier, um Schanna zu helfen.«
»Liquidier ihn!« sagte Wanda hart und stieß Marianka an. »Mach schon! Ob Arzt oder nicht … Feind bleibt Feind!«
Marianka schüttelte den Kopf und sah Lida an. »Sprich mit ihm. Du kannst doch Deutsch. Frag ihn, ob sie allein sind.«
Lida holte tief Atem. Mit großen Augen sah sie Ursbach an, in dessen blondem Haar sich Strohhalme verfangen hatten. Nun breitete er die Arme aus und hob dabei die Schultern. Es war eine Geste der Resignation, als wollte er sagen: Seht her, ich bin unbewaffnet. Ich habe nur meine Spritze in der Hand, und dort, neben Schanna, liegen die chirurgischen Instrumente. Ihr könnt auf mich schießen wie auf eine Scheibe, ich stehe zur Verfügung. Ich kenne eure plazierten Schüsse mitten in die Stirn.
Er hörte Plötzerenke hinter sich wimmern und drehte sich um. Also gut, schießt mir in den Hinterkopf, dachte er. Ich muß mich jetzt um den Verwundeten kümmern …
»Stoj!« rief Lida hart und erhob sich aus ihrer Deckung. Erschrocken über diesen gefährlichen Leichtsinn bissen Marianka und Wanda die Zähne zusammen und zogen die Zeigefinger bis zum Druckpunkt durch.
Langsam drehte sich Ursbach wieder um, die Arme noch immer weit von sich gestreckt. Als Lida aus ihrer Deckung herauskam und zwei Schritte auf ihn zuging, starrte er sie an wie einen Geist aus einer anderen Welt. Die Uniformbluse, die langen, nackten Beine, der dünne Schlüpfer und die Wollsocken – dieser Anblick war zu phantastisch, als daß man sich auf Anhieb einen Reim darauf hätte machen können.
»Keiner mehr da?« rief Lida hart.
Ursbach schüttelte den Kopf.
»Du bist Sanitäter?«
»Arzt.« Seine eigene Stimme kam Ursbach vor wie ein fremdes, hohles Geräusch. »Du sprichst deutsch?«
»Wenig!« Lida Iljanowna kam noch einen Schritt näher und stand jetzt voll im Lichtschein. Ihre Schönheit war überwältigend – nur der harte Blick paßte nicht zu dem schlanken Körper mit dem ovalen Gesicht und den kastanienbraunen Haaren.
Jetzt erhoben sich auch Marianka und Wanda. Die Waffen auf Ursbach gerichtet, riefen sie Schanna etwas zu, was der Arzt nicht verstand. Aber Schanna reagierte nicht. Sie saß unbeweglich auf dem Boden, die Hände vor dem Gesicht.
»Komm her!« hatte Marianka gerufen. »Oder kannst du dich nicht bewegen?!«
»Ich bin hier«, sagte Ursbach mit heiserer Stimme, »um deiner verwundeten Kameradin zu helfen. Die Wunde sieht schlimm aus. Sie eitert. Ich wollte gerade operieren.« Er ließ die Arme sinken und sah Lida mit gerunzelten Brauen an. »Jetzt habt ihr meinen Kameraden niedergeschossen, und ich muß mich um ihn kümmern. Schanna hat Zeit. Verstehst du?«
Er wollte sich Plötzerenke zuwenden, doch Lidas Stimme hielt ihn fest.
»Du bleibst! Du kannst nicht mehr helfen.«
»Das entscheide ich!«
Der Lauf von Lidas Gewehr ruckte etwas höher und deutete jetzt genau auf Ursbachs Brust.
»Du kannst nicht mehr entscheiden.«
»Ich bin Arzt!«
»Und nur deshalb lebst du noch! Nur weil du Arzt bist, kannst du uns jetzt noch sehen.«
»Das heißt, daß noch nicht entschieden ist, ob auch ich erschossen werde?«
»So kann man es sagen …«
»Dann wäre es gut, wenn ihr euch darüber bald einig würdet.«
Ursbach blickte auf seine rechte Hand, als bemerke er erst jetzt, daß er noch immer die Narkosespritze in den Fingern hatte. »Ich habe meine Pflicht zu tun. Tu du die deine …«
Er wandte sich ab, ging zu dem röchelnden Plötzerenke und kniete neben ihm nieder. Beide Schüsse hatten die Brust getroffen und waren in die Lunge gedrungen. Der blutige Schaum, der bei jedem Atemstoß über Plötzerenkes Lippen quoll und über Kinn und Hals troff, machte die Diagnose einfach.
Der Verwundete war bei vollem Bewußtsein und starrte aus angstgeweiteten Augen Ursbach an. Er wollte irgend etwas sagen, brachte aber keinen Laut hervor. Lediglich der rote Schaum um seinen Mund blähte sich.
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