Frauenbataillon
Bürokratieteufel los. Sagen Sie, Ursbach, konnten Sie diese Injektion nicht übersehen?«
»Ich dachte …« Ursbach schluckte mehrmals, was der Oberstabsarzt als Verlegenheit wertete, »die Wahrheit …«
»Die Wahrheit ist: Der Stabsgefreite Plötzerenke, Fritz, fiel für Führer und Vaterland durch zwei Lungenschüsse! Entspricht das etwa nicht der Wahrheit? Na also! Was machen wir nun mit ihm?«
»Wir begraben ihn mit allen militärischen Ehren.«
»Und wer hat ihn denn nun wirklich umgebracht?«
»Ein sowjetischer Stoßtrupp …?«
»Den keiner gehört und gesehen hat? Das läßt kein Kompaniechef auf sich sitzen. Das kratzt an der Ehre. Und wie wollen Sie erklären, daß ein sowjetischer Stoßtrupp Plötzerenke eine Spritze gibt und ihm das Hemd über das Gesicht legt?!«
»Wie kann man das erklären, Herr Oberstabsarzt?«
»Eben! Mein Lieber, wir haben da eine schöne Scheiße am Absatz kleben …«
Uwe Dallmann hörte das alles – und schwieg. Ein paarmal setzte er an, um Hesslich einzuweihen, mit Handschlag für die Verschwiegenheit, aber dann unterließ er es doch. Er hatte ganz einfach Angst. Er war sich nicht sicher, wie Hesslich auf die Wahrheit reagieren würde. Obwohl sie sich schon so lange kannten, blieb ihm Hesslich stets ein Rätsel. Ein Mensch, der statt in den Puff ins Theater geht und Opern hört, und dies auch dann noch, wenn er weiß, daß er zu einem Himmelfahrtskommando abgestellt wird, ein Mensch, der keinem Karnickel in den Nacken schlagen kann, aber mit kalter Präzision Löcher in menschliche Stirnen schießt. Das alles paßte, nach Dallmanns Gefühl, nicht zueinander.
Plötzerenke wurde in einem Garten neben dem Bataillonsbefehlsstand beigesetzt. Ein Birkenkreuz, auf das man seinen Stahlhelm gesteckt hatte, bildete ein schlichtes, aber schönes Grabmal. Bauer III hielt die Gedenkrede. Zwölf Mann, darunter vier Scharfschützen, feuerten den letzten Salut. Etwas abseits stand, mit gefalteten Händen und sehr ernster Miene, Unterarzt Ursbach.
Das war alles, was ich für dich tun konnte, Plötzerenke, dachte er. Nie wird herauskommen, was für ein Saustück du gewesen bist. Und was für ein guter Kerl – trotzdem. Dein Geheimnis ruht mit dir im Grab für alle Zeiten, weil ich schweigen werde. Wie hätten sie reagiert, wenn sie die Wahrheit in Erfahrung gebracht hätten? Bestimmt nicht mit einem Begräbnis wie jetzt. Nie und nimmer mit all der Ehre, die dich jetzt zum Helden stempelt.
Nach dem Begräbnis nahm der Oberstabsarzt vom Regiment seinen jungen Kollegen Ursbach zur Seite. »Das hätten wir hingekriegt«, sagte er trocken. »Der Kommandeur wollte sich quer legen. Salut für einen umgebrachten Falschspieler! Er bekam fast einen Schüttelfrost. Aber dann legte ich ihm etwas vor, woran Sie nicht gedacht haben, lieber Ursbach: die tödlichen Kugeln. Ich habe sie aus der Lunge herausoperiert.«
»Sie waren im Körper?« Ursbach schaute ungläubig drein. »Wie ist es möglich? Wir haben doch diese grauenhaften Ausschüsse gesehen. Faustgroße Löcher …«
»Da ist ein tolles Ding passiert!« Der Oberstabsarzt lachte verhalten. »Beide Geschosse müssen aus naher Entfernung abgefeuert worden sein. Sie durchschlugen Plötzerenkes Brustkorb, traten hinten wieder raus, sind vermutlich auf den Boden geprallt und dann als Querschläger wieder in Plötzerenkes Körper zurückgekracht. Das geht ja alles ruckzuck. Die beiden großen Ausschüsse waren gleichzeitig Einschüsse der Querschläger. Phänomenal, was?! Die Kugeln habe ich also vorlegen können. Es handelt sich einwandfrei um sowjetische Projektile! Was sagen Sie nun?«
»Nichts …«
»Das meinte auch der Kommandeur, und deshalb hat er auch genehmigt, daß wir aus Plötzerenke einen Helden machen. Für die Kompaniechefs da vorne wird's allerdings nun heiter: Plötzerenke ist von den Sowjets erschossen worden, und keiner hat was gehört oder gesehen! Das gibt noch ein hübsches Tänzchen.«
Ursbach nickte stumm und ging hinüber zum Bataillonskasino, wo man mit Wein und Zigarren auf die Offiziere wartete. In diesen Tagen lebte man gut an der stillen Front … In Charkow, so ließ ein Offizier verlauten, hatte es ein Abendessen mit 26 Gängen gegeben, mit kaukasischem Kognak, französischem Champagner, süßem grusinischem Wein und einem willigen Ballett in Tscherkessen-Uniform. Die Sache war durchaus glaubhaft, brachte der Offizier doch sogar Fotos von diesem ›Abendessen‹ in der Etappe mit.
Dallmann, der seinen
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