Frauenbataillon
war sie während des Besuchs der Bajda längst wach gewesen und hatte mitbekommen, wie diese ihrer Verachtung Ausdruck verliehen hatte. Die vorgetäuschte Ohnmacht schien ihr in diesen Stunden der beste Schutz. Sie wollte Zeit gewinnen, ein klägliches bißchen Zeit, ohne Fragen, Verhöre, Beschimpfungen und Demütigungen. Eine kleine Atempause, um Kraft zu sammeln und darüber nachzudenken, wie es weitergehen sollte.
Was sollte sie sagen auf all die Fragen, die auf sie einhämmern würden? Ja, ich war die Hure des Deutschen, er hat mich gezwungen, mehrmals am Tag und des Nachts auch, und ich habe versucht, ihm die Halsschlagader durchzubeißen, aber es mißlang so, wie alles mißlungen ist, was ich in letzter Zeit getan habe. Und dann, ja, dann war ich einfach zu schwach, um mich noch zu wehren, habe nur dagelegen wie ein Stück Fleisch, auf das er einhackt, fast zerrissen hätte er mich jedesmal, ihr kennt ihn ja, den Bullen. Aber sagt mir, was sollte ich denn tun mit meiner Schulterwunde, mit dem Fieber, den Schüttelfrösten? Er hat mich ja jedesmal festgebunden und hinterher saß er dann neben mir, gab mir zu trinken und zu essen, sang mir Lieder vor, spielte Mundharmonika und Mandoline … Da war er dann kein Ungeheuer mehr, sondern nur noch ein großer Junge.
Habe ich ihn euch nicht ausgeliefert? Ist er nicht tot? Was werft ihr mir eigentlich vor? Daß er sechs Tage und Nächte lang in mir war wie ein glühender Eisenpflock, dem ich nicht entrinnen konnte? Daß ich mich nicht selbst getötet habe? Ja, sagt mir doch: Womit denn? Ich war doch an Händen und Füßen gefesselt. Kann man sterben, indem man einfach die Luft anhält? Macht es mir vor! Es geht nicht, ich habe es nämlich versucht! Die Lungen sind stärker, sie reißen den Mund auf. Man muß atmen, wenn man in der Luft lebt. Man kann sich nicht einfach befehlen, hör auf zu atmen! Das geht nicht. Man kann sich aufhängen, ersticken, ertränken – wenn man die Hände frei hat! Was aber werft ihr mir vor? Was hätte ich tun sollen? Was habe ich versäumt? Soja Valentinowna mit deinem deutschen Vorsterbe-Satz: Wie hättest du dich umgebracht?! Erklär mir das!
Die Stunden rannen dahin. Ab und zu kam Galina Ruslanowna, fühlte ihren Puls, horchte ihr Herz ab, maß das Fieber. Dann war sie wieder allein.
Was hat sie nur vor, dachte Galina, wenn sie Schanna wieder verließ. Sie wußte seit Stunden, daß die Patientin nicht mehr in der Betäubung lag, ließ ihr dennoch den Glauben, alle täuschen zu können, und sprach sie nicht an. Aber warum die List? Worauf wartete sie? Wollte sie den Verhören entgehen und ein paar armselige Stündchen herausschinden?
Gegen Mittag gab sie ihr noch eine Injektion gegen das Fieber und lächelte still, als Schanna beim Einstich zusammenzuckte. Eine Betäubte merkt so etwas nicht …
Dann war Schanna wieder allein und fragte und fragte und fand keine Antworten. Als die Spritze wirkte, glitt sie in einen Dämmerzustand, die Gegenwart weitete sich ins Unendliche, und ergriffen sah sie, daß sie wieder am Baikalsee war. Sie saß mit ihrer großen Schafherde am Ufer des Sees, die Hunde umkreisten die Herde, weiße, geballte Wolken zogen träge unter dem tiefblauen Himmel. Sie legte sich, die nackten Beine übereinandergeschlagen, ins hohe Gras. Über ihr kreisten drei Habichte, und Schanna ballte die Faust, drohte ihnen und zeigte ihnen ihr Gewehr. Es war die alte Flinte mit dem langen Lauf, die man nur mit einer Patrone laden konnte und bei der man stets fürchten mußte, der nächste Schuß würde sie auseinandersprengen. Aber Schanna traf damit jeden Vogel in der Luft und jede Ratte am Ufer des Sees, jeden schleichenden Fuchs und jeden heulenden Wolf im Winter.
Ei, was sehe ich da? Kommt da nicht Gamsat Wadimowitsch, der Sohn des Fischers? He, Gamsat, hier liege ich! Suchst du mich? Wie war der Fang heute morgen? Habe dich von hier oben im Boot gesehen. Das Netz sah gut aus, halb voll! Kannst zufrieden sein, was? Na, setz dich zu mir, Gamsat! Was glotzt du mich so dämlich an! Meine nackten Beine? Die kennst du doch! Meine Brüste unter der dünnen Bluse? Guck zur Seite, wenn sie dich stören! Was soll die Hand auf meinem Bauch. Laß das, Gamsat Wadimowitsch! Läßt du wohl meine Brust in Ruhe? Auf die Finger schlage ich dir! Ich bin kein Fisch, der in deinem Netz zappelt! Weg da, freche Laus! Was sagst du? Was willst du? Ich sei 15 Jahre und müßte wissen, was ein Mann so denkt, wenn er ein so schönes Mädchen im
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