Frauenbataillon
süßlich-herb nach Verwesung, nach schimmeligem Holz und nassem Moos. Almas, die kupferglänzende Stute, witterte ihn zuerst. Sie stieg hoch, warf die Vorderbeine hoch in die morgenfeuchte Luft, blieb dann mit bebenden Flanken und geblähten Nüstern neben dem Schutzdach stehen und glotzte mit ihren großen runden Augen zum Waldrand, dorthin, wo der sanfte Abstieg zum Wildbach begann.
Dr. Semaschko kniete hinter seinem Motorrad wie hinter einer Panzerplatte und hatte sein Gewehr auf den Sattel gelegt. Vor Angst versagte ihm die Stimme. Er hatte geschlafen, eingerollt in eine Decke und durch einen Plastiksack, in dem er bis zum Hals steckte, gegen die Feuchtigkeit geschützt. Lebjotkas heißes Schnaufen hatte ihn geweckt, und noch bevor er den Bären sah, wußte er, daß die große Stunde gekommen war. Er wühlte sich aus Sack und Decke, ergriff das Gewehr und wurde erst jetzt gewahr, daß Stella nicht unter dem Schutzdach lag.
O Himmel, dachte er. O Gott! Soll sich das Drama wiederholen? Aufgeregt sah er sich um und entdeckte Stella Antonowna unten am Fluß. Sie hatte sich gewaschen, zog gerade ihre baumwollene Bluse an und drückte die letzte Nässe aus ihrem Haar. Das Gewehr lag zu ihren Füßen, griffbereit wie immer. Das beruhigte Semaschko etwas, aber die Gefahr, in der sich Stella befand, war dadurch noch nicht gebannt.
Soll ich schreien? dachte Wiljam Matwejewitsch. Wenn ich jetzt losbrülle, ist der Bär weg, und Stella wird mich wie einen streunenden Hund davonjagen. Schreie ich nicht, wird der Bär sie hinterhältig umschleichen und das gleiche tödliche Spiel versuchen wie bei Pjotr Herrmannowitsch. Gott im Himmel, bei meiner Seele – was soll ich tun?
Er brachte seine schöne neue Simonow in Stellung und guckte durch das Zielfernrohr. Aber der Bär war ein raffinierter Halunke. Er blieb im Schatten der Stämme, trat nicht ins Freie, verschmolz mit dem Grün der Blätter, dem Braun der Zweige und den wallenden Dunstschwaden. Nur ab und an tauchte er noch schemenhaft auf, wenn er lautlos von Stamm zu Stamm trottete.
Ahnungslos, wie es schien, kam Stella, vom Bade erfrischt, den kleinen Hang hinauf, ihr Gewehr locker in der rechten Hand. Sie winkte Dr. Semaschko zu, gab Lebjotka, die ihr mit zitternden Beinen entgegenkam, einen Klaps auf die Kruppe und beugte sich zum Feuer, um es anzufachen. Dann hängte sie den Kessel an das Gestänge und goß aus einem Plastikeimer frisches Wasser hinein. Dr. Semaschko fühlte in den Kniekehlen eine geradezu unmännliche Schwäche.
»Der Bär ist da …«, rief er ihr halblaut zu.
»Halt den Mund!« antwortete sie ruhig. »Ich weiß es.«
»Jetzt kommt er heraus … Er blickt zu uns herüber.«
»Beachte ihn nicht, Wiljam Matwejewitsch.«
»Mein Gott, ist das ein Kerl. Noch nie habe ich einen solchen Bären gesehen. Nicht einmal auf Bildern!«
»Ein anderer hätte Pjotr auch nicht besiegt …«
Sie drehte sich um, stand ruhig neben dem Feuer und sah den Bären an.
Da bist du also, dachte sie. So also siehst du aus, du Mörder! Pjotr hast du getötet, aber nur, weil du von hinten kamst. Daß du listig bist, nehme ich dir nicht übel … man muß den Feind besiegen mit allen Mitteln, die man kennt. Das haben wir geübt, und es gab eine Zeit, wo oft eine winzige Sekunde entschied über Tod oder Weiterleben. Nie hätte ich geglaubt, daß ich das noch einmal brauche … diese Kälte bis zum Herz, die absolute Notwendigkeit, daß jeder Muskel meines Körpers in der nächsten Sekunde richtig reagiert, diese Klarheit im Gehirn, bei der sich alles Denken auf eine einzige Linie konzentriert hat: die Linie durch das aufgeschraubte Zielfernrohr, über das Korn hinweg zum Schnittpunkt des Fadenkreuzes, in dem der Kopf des Gegners schimmert, seine Stirn, seine Nasenwurzel, seine Augen … sein Tod.
Wie lange ist das her … aber man verlernt es nicht. Nur wollte ich mich dessen nie wieder bedienen. Nie wieder! Es sollte begraben sein unter den Jahren, als Erinnerung verscharrt. Aber du, Bär, Pjotrs Mörder, du machst mich Jahrzehnte vergessen. Ich bin so kalt wie damals, so ruhig, so konzentriert … und ich höre jetzt auf zu denken … nur die Linie bleibt noch, die Linie von den Augen durch das Fadenkreuz zu dir …
Der Bär witterte die Gefahr. Er blieb, umwallt von Nebelschwaden, am Waldrand stehen. Der Bär fühlte sich jetzt sicher, geschützt durch Stämme und Gebüsch. Lautlos tappte er auf seinen verhornten Tatzenballen in Richtung des Flusses. Das Wasser
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