Frauenbataillon
Mord. Es war ein Steinchen von Patriotismus, und aus vielen, vielen dieser Steine würde das einst neue, befreite, schönere Rußland gebaut werden.
Uwe Dallmann kratzte sich über die Nasenwurzel und stieß mit dem Ellenbogen Hesslich in die Seite.
»Wer hat nun recht?« sagte er ungeniert laut. »In meinem Darm ist mehr los als hier!«
»Halt's Maul«, zischte Hesslich leise.
»So weit sind die Iwans noch nicht, daß sie schießende Fische einsetzen! Mensch, Peter, wo soll da denn jemand sein? Der Fluß ist glatt wie die Haut eines Mädchenarschs, die Sandbank ist wie'n langer Oberschenkel, zum Reinbeißen schön. Und das andere Ufer, siehst du's? Da ist der Vorhang runter!«
»Ich traue dem allen nicht …«
»Blödsinn, Peter! Die sehen uns doch ebensowenig, wie wir sie. Paß mal auf …«
Bevor Hesslich eingreifen konnte, hatte Dallmann sein Schiffchen auf die Faust gestülpt und hochgestreckt. Hesslich zerrte an seinem Arm, aber Dallmann lachte nur laut, ließ die Faust mit dem Schiffchen in der Luft tanzen und rollte sich dann weg, so daß Hesslich ihn nicht mehr erreichen konnte.
»Du Idiot!« stammelte Hesslich und spürte, wie er mit den Zähnen klapperte. »Du Vollidiot! Komm hierher, Uwe …«
Auf der Sandbank zuckte Stella Antonowna zusammen, als sie drüben eine Bewegung wahrnahm, sie mehr ahnte als sah. Mit dem Zielfernrohr suchte sie die Böschung ab und hatte plötzlich eine deutsche Mütze im Fadenkreuz – eine Mütze, die wie verzaubert von ganz allein durch die Nacht tanzte. Langsam drückte Stella mit dem Daumen den Sicherungsflügel weg. Die Mütze verschwand im hohen Gras. Stella schabte sich mit dem Bauch noch etwas tiefer und bequemer in die Sandmulde, drückte den Kolben fest in die Schulter und lag nun bequem, aber mit angespannten Muskeln hinter dem Zielfernrohr.
Wo eine Mütze ist, ist auch ein Mensch! Erfaßt man ihn, war er ein Mensch. Wieder überkam Stella Antonowna ein Zustand vollkommener, innerer Leere. Sie und das Gewehr waren jetzt eins, sie selbst war das Gewehr und die Schußbahn nach drüben. Sie selbst warf sich hinüber zu dem Feind.
Dallmann grinste Hesslich an und winkte ihm zu. »Irre ich mich, oder stinkt es hier wirklich?! Drei Schritte vor, wer in die Hosen geschissen hat! Peter, wo sind sie denn, deine Iwans?«
»Wir ziehen uns zurück.« Hesslich zog das Gewehr an seine Seite. »Nach hinten weg, bis zum Fuße der Böschung. Und dann schlage ich dir in deine dämliche Fresse, darauf kannst du dich gefaßt machen.«
»Dazu gehören zwei.« Dallmann kramte in seiner Tasche und hielt die rechte Hand hoch. Stella erfaßte sie sofort als schwach schimmernden Fleck im Fadenkreuz. »Noch ein Stück Schokolade?«
»Nein!«
»Ein Neger stand am Waldrand und hielt was Schwarzes in der Hand. Oh, sagte da das Mägdelein, wird das aus Schokolade sein …?« Dallmann brach ein großes Stück ab, rief laut und lachend »Hopp!« und warf es Hesslich zu. Um besser werfen zu können, richtete er sich etwas auf. Für einen Sekundenbruchteil tauchte sein Kopf aus dem Gras auf.
Ganz ruhig krümmte Stella Antonowna den Finger.
Der Schuß war leiser als sonst, erinnerte an einen Peitschenknall, an ein fröhliches Kutscherschnalzen. Das Stück Schokolade fiel neben Hesslich in den Sand, Uwe Dallmann rollte lautlos auf den Rücken und lag dort ebenso flach, wie er zuvor auf dem Bauch gelegen hatte. Nur lachte er jetzt nicht mehr. Ein heißer Bolzen durchbohrte sein Gehirn.
In der Sekunde, in der das Schokoladenstückchen und nahezu gleichzeitig Uwe Dallmann selbst zu Boden fielen, war Hesslich wie gelähmt. Dann aber explodierte in ihm etwas, was er nie in sich vermutet hätte und von dem er nicht einmal wußte, daß es so etwas überhaupt gab. Es war ihm, als zerfiele er in Flammen.
Mit einem Ruck war er schußbereit und schoß auf die Sandbank. Drüben, genau vor Stellas Deckung, spritzten Sand und Kies hoch. Sofort zog sie den Kopf ein, kroch zurück hinter die flache Erhebung und wartete ab. Und dann hörte sie seine Stimme. In der Dunkelheit klang sie zu ihr hinüber, vom leichten Nachtwind etwas verweht.
»Du Luder!« brüllte Hesslich aus voller Lunge. »Du verdammte Hure! Du Satansaas! Ich kriege dich! Ich schwöre es bei Gott: Ich kriege dich! Du Aas! Du Aas!«
Seine Stimme brachte plötzlich alle Empfindungen in sie zurück. Sie begann zu frieren, ein Zittern durchlief sie von den Haaren bis zu den Fußsohlen. Sie kroch noch tiefer in Deckung und schloß die
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