Frauenbataillon
schwach. Sie deckte den nackten Körper mit seinen Kleidern zu, schob den Brotbeutel als Kissen unter seinen Kopf, küßte Pjotrs offenen Mund und seine starren Augen und streichelte sein Gesicht, auf dessen Erdschminke der Schweiß tiefe Rillen gegraben hatte.
»Do swidanija …«, sagte sie leise und küßte ihn wieder. »Wsewo choroschewo …« (Auf Wiedersehen. Alles Gute!)
Langsam ging sie in den Wald hinein, blieb ein paarmal stehen und blickte zurück auf die flache, am Boden liegende Gestalt. Dann, als ihn die Dunkelheit ihr endgültig wegnahm, begann sie zu rennen, rannte wie um ihr Leben durch den Wald, immer geradeaus, irgendwohin, zu Menschen, die anders waren als Pjotr, in eine Welt, in der sie sich verkriechen konnte vor dem Himmel, der in ihr war und den sie nie vergessen würde.
Nach etwa einer halben Stunde unterbrach ein schriller Ruf ihren Lauf. »Stoj!«
Er kam aus der Dunkelheit, irgendwo aus einem Postenloch in unmittelbarer Nähe.
Sie hob beide Arme, atmete tief auf, warf den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel. Über ihr zogen die dicken Wolken träge im Wind, der Sichelmond verstreute streifiges Licht, und dort, wo die Wolken ein schwarzes Loch in die Unendlichkeit freigaben, flimmerten ein paar einsame Sterne.
»Ich bin Stella Antonowna Korolenkaja!« rief sie mit heller, befehlsgewohnter Stimme. »Sergeant der Abteilung Bajda! Zurück vom Sondereinsatz! Ich danke euch, Genossen!«
Aber in den Himmel hinein dachte sie: Danke, du da oben. Danke! Ich werde dich immer lieben.
Sie nahm die Arme herunter, ging auf die Posten zu und schüttelte dann sechs Hände.
»Ich möchte zum Kommandeur!« sagte Stella Antonowna hart. »Etwas Unerhörtes ist geschehen! Mir bricht fast die Zunge ab, wenn ich es erzählen muß! Wer ist euer Kommandeur?«
»Major Samjutin. II. Werferbataillon. Wir bringen Sie sofort zu ihm, Genossin.«
Major Samjutin erfuhr als erster von dem fast Unglaublichen, an dem jedoch kaum gezweifelt werden konnte. Stella Antonownas zerrissene Bluse war Beweis genug:
»Vier Rotarmisten haben mich im Wald hinterrücks überfallen!« sagte Stella, ballte die Fäuste und schnaubte vor Erregung. »Zu Boden haben sie mich geworfen! Gewehrt habe ich mich nach Kräften, aber was kann man gegen vier Männer ausrichten?!«
»Was … was ist Ihnen geschehen, Genossin Korolenkaja?« Major Samjutin blickte diskret auf die zerfetzte Bluse, die ihren Büstenhalter nur teilweise verbarg, und auf einige Striemen an ihrer Schulter. »Hat man Ihnen … ich meine, verzeihen Sie, wenn ich so frage … aber hat man Ihnen etwas … he … angetan?«
»Sie meinen … als Frau?«
»Eben dieses …« Samjutin war sehr verlegen.
»Nein!«
»Ich atme auf, Genossin!«
»Ich nicht. Man hat mir mein Gewehr gestohlen …«
»Was hat man?« Samjutin beugte sich vor. Die Sache wurde immer ungeheuerlicher.
»Mein neues Scharfschützengewehr. Eine Sonderkonstruktion. Nur sechs Stück gibt es davon in der Sowjetunion, und ich hatte die Ehre, eines davon benützen zu dürfen. Und Rotarmisten haben mich überfallen und es mir gestohlen …«
Major Samjutin ahnte die Untersuchungslawine, die nun ins Rollen kommen und ihm und dem ganzen Frontabschnitt das Leben schwermachen würde.
»Was soll man dazu sagen, Genossin?« fragte er etwas hilflos.
»Nichts! Bis zu General Konjew werde ich gehen …«
»Das befürchte ich …«
»Hier liegt nur Ihre Abteilung?«
»Nein. Auch Artillerie, Flak, ein Nachrichtentrupp, eine Bäckerei … und die III. Panzerschwadron …«
»Auswahl genug! Major Samjutin, wir müssen die vier Diebe finden. Ich muß mein Gewehr wiederhaben …«
Oje, war das eine Aufregung, als Soja Valentinowna in dieser Nacht von Major Samjutin angerufen wurde. Die berühmte Stella Antonowna, so berichtete der Major, hocke bei ihm im Haus und sähe ziemlich durchgedreht aus. Man habe ihr das Gewehr gestohlen, und auch sonst sei sie in einer Verfassung, daß man sie lieber allein lasse, weil sie im Augenblick gegen jedes männliches Wesen einen glühenden Haß hege …
Mit einem heulenden Jeep – einem Wagen aus der amerikanischen Hilfslieferung – trafen die Bajda und Leutnant Ugarow bei Samjutin ein.
»Mein Vögelchen!« schrie Soja, als sie Stella sah und zog sie an ihre mächtige Brust. »Mein armes, gerupftes Schwänchen! Vier Mann! Wer kann das aushalten?! Diese ranzigen Säue! Und das Gewehr haben sie geklaut! Ha, das wird eine Untersuchung geben! Da werde ich nicht
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