Frauenbataillon
Angst davor.«
»Könntest du ihn erschießen?«
»Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Vielleicht, wenn er zuerst schießt …«
»Wenn er zuerst schießt, hast du keine Chance mehr, ihn zu treffen. Denn dann gibt es dich nicht mehr. Das weißt du.«
»Wäre das nicht die beste Lösung?«
»Und mit dieser Lähmung im Herzen und im Hirn willst du kämpfen?« Die Opalinskaja steckte die abgezogenen deutschen Pflaster in einen Leinensack, in dem sie Abfälle des Lazaretts sammelte, und wartete, bis Stella Antonowna BH und Schlüpfer angezogen hatte. »Wie ein Kaninchen vor der Schlange wirst du dahocken, wenn du die Strickmütze vor dir siehst …«
»Er wird sie nie wieder tragen«, sagte Stella und atmete tief auf.
»Hat er dir das versprochen?«
»Nein! Aber er kann sie nicht mehr tragen.« Sie griff in die linke Tasche ihrer Uniformhose, zog Hesslichs graue Strickmütze hervor und schwenkte sie wie ein Fähnchen durch die Luft. »Ich habe sie …«
»Er hat sie dir geschenkt?«
»Ich habe sie ihm abgenommen.«
Galina Ruslanowna berührte die Strickmütze mit spitzen Fingern, als handele es sich um ein zerbrechliches, wertvolles, unersetzbares Stück. Zwar war sie Ärztin, ein junger, aufgeklärter Mensch, dem alles Mystische fremd, ja lächerlich erscheint, doch erzeugte der Anblick dieser Todesmütze selbst bei ihr eine gewisse Scheu.
»Abgenommen …?« wiederholte sie.
»Er war besinnungslos, als ich ihn verließ. Fast erwürgt hätte ich ihn – ich wäre sonst nicht von ihm weggekommen. Er war der Sieger, aber er wußte nicht, wie es weitergehen sollte. Da mußte ich ihm helfen, verstehst du das?«
»Ich muß jetzt eine ganze Menge verstehen, was es eigentlich nicht geben darf! Was plötzlich bei dir den Sinn unseres Großen Vaterländischen Krieges auf den Kopf stellt! Du liebst deinen Todfeind – da hört jedes Begreifen auf. Da kann man nur noch schaudern …«
»So ist es …« Stella streifte die Uniformhose über, zog die Stiefel an und schlüpfte in die neue Bluse, die man ihr aus dem Magazin geholt hatte. »Aber wie läßt sich jetzt diese Liebe töten, ohne daß ich selbst dabei zugrunde gehe? Sag mir das, Galina Ruslanowna. Du bist so klug, du hast studiert, du bist Ärztin und kennst die Seelen der Menschen! Wie lebt man mit dieser Liebe weiter?«
»Es gibt nur zwei Möglichkeiten, Stellinka …«
»Nenne sie mir, bitte.«
»Die eine ist: Laß dich an eine andere Front versetzen. Du kannst das, gerade du mit deinen Beziehungen zu Moskau und dem Ansehen, das du bei General Konjew genießt. Sag einfach, du verträgst dich mit der Genossin Bajda nicht mehr.«
»Das wäre schlecht. General Konjew würde sofort eine Untersuchung gegen Soja Valentinowna einleiten! Nein, das ist unmöglich!«
»Dann bleibt die zweite Lösung: Wir sollten darum beten, daß dieser Pjotr – wie du ihn nennst – baldmöglichst erschossen wird.«
»Du bist grausam, Galina Ruslanowna.« Stella steckte die Strickmütze wieder in ihre Hosentasche, überlegte einen Moment, zog sie wieder hervor, stopfte sie in ihren Ausschnitt und knöpfte dann die Bluse bis zum oberen Knopf zu. Die Opalinskaja verzog ihren hübschen Mund.
»Dein Herz wird nie wieder uneingeschränkt russisch fühlen …«, sagte sie leise. »Jetzt bist du für dein ganzes Leben krank, unheilbar krank! Wirf die Mütze in den nächsten Trichter, verbrenne sie, zerreiße sie – was auch immer: Auf jeden Fall vernichte sie! Aber lebe nicht mit dieser Mütze! Wie grauenvoll: Du preßt den Tod an deine Brust und bist dabei noch glücklich …«
»Ich zittere vor Glück, Galina …«
»Du bist ein Untier! Ein Monstrum bist du …«
»Ich fühle mich zum erstenmal richtig als Frau.«
»Durch einen Deutschen! Einen faschistischen Aggressor …«
»Durch einen Mann, den ich liebe. Wo er herkommt, weiß ich nicht! Aber ich weiß jetzt, was Liebe ist – wo gibt es da noch Grenzen?«
»Er kommt aus Nazi-Deutschland!«
»Und ich aus Sowjetrußland! Ich frage dich, Galina: Sind das nicht bloß Namen? Wir umarmen uns und sind Menschen – genügt das nicht? Ist das nicht der eigentliche Sinn des Lebens?«
»Leben!« Die Opalinskaja breitete die Arme aus. »Wie kannst du dieses Wort so unbefangen aussprechen! Wir sind zum Töten hier!«
»Du nicht! Als Ärztin mußt du Leben retten.«
»Euer Leben … damit ihr weiter töten könnt!« Sie ließ die Arme sinken und sah zu, wie Stella Antonowna ihr Koppel zuschnürte. »Wie hast du dein Gewehr
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