Frauenbataillon
ein leises Grollen, trug der Nachtwind den Lärm des Krieges durch ihr glasloses Fenster. Ihr Atmen war lauter und umrauschte sie wie Musik.
Nach drei Wochen war Hesslichs Schenkel so gut verheilt, daß er wieder zügig gehen konnte, ohne Stock oder Stütze und auch ohne Schwächeanfälle. Sein ›Heilfleisch‹ hatte gesiegt. Zwar blieb im Oberschenkel ein von derben Narben umgebenes Loch zurück, über das sich eine noch rosarote neue Haut spannte, aber damit konnte man leben, es war eine Visitenkarte des Krieges.
Mit der russischen Sprache allerdings tat sich Hesslich schwerer. Er mußte deshalb nach wie vor seinen Kopfverband tragen und den Stummen spielen, begleitete aber Stella bereits zum Güterbahnhof, Abteilung Frachtkontor, wo man sie in der Registratur angestellt hatte.
Ein Glück hatte sie gehabt, kaum zu glauben. Der Leiter des Güterbüros, ein ehemaliger Major, dem man ein Bein weggeschossen und einen Nerv beschädigt hatte, was dazu führte, daß er immer, wenn er brüllte, heftig mit dem Stumpf zuckte, betrachtete mit großer Anteilnahme den Kopfverband des armen Pjotr, der seine Frau zur Vorstellung beim Genossen Leiter begleitete, und entschloß sich spontan, Stella nicht bei den Ladegruppen, sondern im Büro zu beschäftigen. Die Frau eines gefolterten Genossen verdiente bevorzugte Behandlung.
Nach der dritten Woche half auch Hesslich mit, wenn von der Front die Lazarettzüge in Charkow einliefen. Sie waren überfüllt mit blutenden, oft tagelang nicht versorgten Leibern, es war eine Flut von Stöhnen und Wimmern, von Eitergestank und Exkrementen.
Der Vormarsch der sowjetischen Armeen verlief nicht mehr ganz so zügig wie noch vor wenigen Tagen, aber das war beabsichtigt. Aus der Tiefe des Raumes holte man frische Reserven heran. Man füllte die Divisionen wieder auf, um den großen Vorstoß zum Dnjepr einzuleiten. Der Strom sollte erreicht werden, ehe Hitlers Ostwall, die ›Pantherlinie‹, zu einem neuen Bollwerk wurde. Die Meldungen der Partisanenverbände und die Spionageberichte, die über die Schweiz eintrafen, drängten zur Eile.
Die Armeen von Mansteins gingen nun geordnet zurück. Der Schock vom Donez, die Niederlage beim Unternehmen ›Zitadelle‹, war überwunden. Am 27. August, also fünf Tage nach der Räumung Charkows, war Hitler von seinem Hauptquartier in Rastenburg nach Winiza, seiner alten Befehlszentrale, geflogen. Hier traf er Feldmarschall von Manstein, der ihm schonungslos die Lage erklärte. Es war erschütternd, die Antwort Hitlers zu hören: »Sie müssen an allen Abschnitten standhalten, bis der Feind die Vergeblichkeit seiner Angriffe einsieht!«
Die Vergeblichkeit? Konjew stieß über Charkow hinaus vor, Malinowskij mit seiner Südwestfront und Tolbuchin mit seiner Südfront standen mit ungeheuren Menschenmassen bereit, die 1. Panzer-Armee und die 6. Armee der Heeresgruppe A des Feldmarschalls von Kleist zu zertrümmern. Die Westfront unter Sokolowskij und die Brjansker Front unter Popow hatten den gesamten deutschen Keil von Orel aufgerollt und standen massiert vor der sagenhaften ›Hagen-Linie‹, wo sich die deutsche 2. Panzer-Armee und die 9. Armee unter Model wieder gefangen hatten. Die Zentralfront unter Rokossowskij und die Woronesch-Front unter Watutin warteten mit vier Armeen darauf, die armselige, schwache deutsche 2. Armee vor sich herzutreiben. Hitler aber sprach davon, daß sie die Vergeblichkeit ihrer Angriffe einsehen müßten.
Was Hitler an diesem 27. August dem Feldmarschall von Manstein sagte, führte zum Bruch des Heerführers mit jenem Mann, der sich der größte Feldherr aller Zeiten nennen ließ. Auch daß Hitler ihm neue Divisionen versprach, die er aus dem Mittelabschnitt und dem Norden abziehen wollte, nützte nichts mehr. Manstein wußte, daß er diesen Ersatz nie bekommen würde.
Er verstand Hitler nicht mehr. Das Unternehmen ›Zitadelle‹ war eine Katastrophe geworden. Allein die Heeresgruppe Süd hatte 133.000 Mann verloren! Tausende von Gefangenen zogen durch die Steppe nach Osten.
Einen Tag später, am 28. August, erschien Feldmarschall von Kluge, der Chef der Heeresgruppe Mitte, bei Hitler und war erschüttert, daß ausgerechnet er Divisionen an Manstein abgeben sollte. In aller Deutlichkeit stellte er seinem Oberbefehlshaber die verzweifelte Lage seiner beiden Armeen dar: Stoßrichtungen auf Smolensk und Jelnja. Unmittelbare Gefährdung von Brjansk. Aber was noch schwerer wog: Auf sowjetischer Seite standen 134 Divisionen
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