Frauenbataillon
Mittel gab.
Einen Tag vor dem großen Artillerieschlag, mit der die Offensive eingeleitet wurde, zog sich die Frauensondereinheit des Kapitäns Soja Valentinowna Bajda aus der Hauptkampflinie zurück und entfernte sich zunächst mit Schlitten, später dann mit Lastwagen aus dem unmittelbaren Frontbereich. Erst in Bokowskaja am Tschir, noch hinter den festen Stellungen der schweren Artillerie, machte sie halt und bekam in einem Verwaltungsgebäude der Sowchose ›Ewiger Don‹ Quartier.
Miranski atmete auf. Hier war der Krieg weit genug weg, so daß er mit Überzeugung sagen konnte: Das ist noch einmal gutgegangen. Er hatte befürchtet, daß auch seine Abteilung würde stürmen müssen, wie es – z.B. in Leningrad und Stalingrad – andere Frauenkompanien getan hatten. Aber General Watutin hatte anders entschieden. Einen Tag vor der Offensive hatte er Besuch von General Iwan Rasulowitsch Kitajew erhalten, einem Genossen aus der Befehlszentrale in Moskau. Kitajew hatte zu verstehen gegeben, daß gerade diese Frauenabteilung zu wertvoll sei, um einem Sturmangriff ausgesetzt zu werden. Sie war auf den Grabenkrieg spezialisiert. Ein Mädchen wie Stella Antonowna war ein unsichtbarer Einzelkämpfer, kein in der Masse mitlaufendes Glied, das im Angesicht des Feindes ein nervenerschütterndes »Urräää« brüllte.
Während Peter Hesslich weiterhin in Posen saß, die Wehrmachtsberichte hörte und in einem Schulatlas verfolgte, was man unter taktischer Frontverkürzung verstand, wurde Stella Antonowna von General Watutin, dem Kommandeur der Südwestfront, empfangen. Im Trubel des siegreichen Vormarsches, im Gewirr von Menschen, Wagen, Panzern, Pferden und Kanonen, fand Watutin ein paar Minuten Zeit für sie. Er drückte ihr die Hand, studierte ihr Trefferbuch und umarmte sie herzlich.
»Neunundvierzig Deutsche! Wir sind stolz auf dich, Genossin Korolenkaja!«
Sie erhielt ihre zweite Tapferkeitsmedaille. Es gab in der Roten Armee nur noch eine einzige Scharfschützin, die Stella Antonowna übertraf – die sagenhafte Ludmilla Pawlitschenko aus der 25. Infanteriedivision. Sie hatte bisher 105 Treffer.
»Du wirst sie noch einholen, Stellanka«, sagte Miranski, als sie nach dem Besuch bei General Watutin zurück nach Bokowskaja kam. »Ludmilla ist länger im Einsatz als du. Warte ab, bis wir wieder nach vorn kommen. Oder hinter die deutschen Linien mit dem Fallschirm. Zeig einmal deine neue Medaille. Ha, wie sie in der Sonne blinkt! Ist sie aus Gold? Nein, sicherlich nur vergoldet, aber was macht's? Es ist eine große Ehre – jeder kann sehen, wie tapfer du bist!«
Unaufhaltsam stießen die sowjetischen Armeen auf Rostow und Charkow vor. Die deutsche Heeresgruppe B unter Generaloberst v. Weichs gab es praktisch nicht mehr.
In Posen sagte Uwe Dallmann gemütlich: »Mit diesem Scheiß am Don dürfte unser Weibereinsatz am Arsch sein! Gott sei Dank, davor hatte ich einen Horror!«
Uwe Dallmann irrte sich gewaltig.
Im April hatte sich die Welt verändert. Besser sah sie nicht aus – wie sollte sie auch? –, aber immerhin zeichnete sich die Zukunft klarer ab. Das hatte nichts mit dem Frühling zu tun, nichts mit der Schneeschmelze und dem krachenden Eis auf den Flüssen, nichts mit grundtief verschlammten Straßen und den ersten warmen Strahlen der Sonne, die über Nacht das Gras ergrünen ließen, Krokusse aus der Erde zauberten, die Weidenbäume gelb überhauchten und die Pappeln in einem Silberglanz erscheinen ließen. Mochte sich auch die Natur an den gottgegebenen Jahresrhythmus halten, obwohl Panzerketten und Granaten wüteten und Brand weite Gebiete schwärzte – worauf es ankam, war, daß die vier sowjetischen Armeegruppen die gesamte deutsche Südfront eingedrückt hatten, daß der Don nun wieder ein russischer Fluß war, in dem man nach dem donnernden Eisbruch wieder mit Angel und kleinen Netzen fischen konnte und in dessen Ebene auf den Feldern und in den Dorfgärten wieder die Hacke den Boden aufwühlte, Pflanzen gesetzt und Samenkörner gestreut wurden. Woronesch war zurückerobert worden. Kursk lag im Mittelpunkt eines sowjetischen Frontkeils, der sich zwischen Orel und Charkow tief in die deutschen Linien gegraben hatte. Rostow feierte die zurückgekehrten russischen Brüder und begann sofort mit dem Wiederaufbau, obgleich die deutschen Stellungen bei Taganrog fast greifbar nahe verliefen, was jedoch niemanden störte … Man wußte genau, daß es den Deutschen nie mehr gelingen würde, noch einmal bis
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