Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
wie die Mehrheit der Beteiligten immer wieder versicherte, den Vereinsgesetzen (Bäumer 1921, 17) und spiegelte, ja verstärkte die die Gesellschaft der Jahrhundertwende beherrschenden Klassengegensätze. Da die Arbeiterinnenbewegung auch nach Aufhebung der Sozialistengesetzevon den staatlichen Behörden immer noch als «politisch» eingestuft und weiterhin verboten und drangsaliert wurde, hatte sie seit 1889 sog. «Frauenagitationskommissionen» eingerichtet, die ohne Statuten, Mitgliederlisten oder Vorsitzende die Vereinsgesetze zu unterlaufen suchten. Die grundsätzliche Unvereinbarkeit beider Bewegungen begründete Clara Zetkin damit, dass die bürgerlichen Frauen einen Kampf
gegen die Männer
ihrer eigenen Klasse führten, während die Proletarierinnen «in enger Ideen- und Waffengemeinschaft mit den Männern ihrer Klasse» für «die Beseitigung der bürgerlichen Gesellschaft» kämpften (Die
Gleichheit
Nr.8, 1894).
Es gab auch Grenzgängerinnen, die die Fronten wechselten oder zu vermitteln suchten, z.B. Wally Zepler, Johanna Loewenherz oder Henriette Fürth, die in wichtigen Sachfragen für punktuelle Bündnisse mit der bürgerlichen Frauenbewegung wie Mutterschutz, Stimmrecht oder Fabrikinspektion eintraten. Sie wurden von Zetkin als Revisionistinnen ausgegrenzt und veröffentlichten daher vorwiegend in den
Sozialistischen Monatshef
ten. «Jede Frau», so Loewenherz, «gehört zwei Klassen an: durch ihr Geschlecht der einen, durch ihren Besitz (oder Nicht-Besitz) der anderen.»
Lily Braun-Gizycki
(1865–1916), die zunächst Mitglied im Verein
Frauenwohl
war und zum «linken Flügel» des
BDF
gehörte, wechselte 1896 zur
SPD
. Doch auch sie hatte neben Clara Zetkins Führungsanspruch keine Chance. In einer mitreißenden Rede hatte Braun 1894 in einer öffentlichen Versammlung des Vereins
Frauenwohl
in Berlin das Frauenstimmrecht als «Bürgerpflicht der Frau» gefordert. 1901 veröffentlichte sie ihr umfassendes Werk
Die Frauenfrage
, in dem sie sowohl die Frauenbewegung der Gegenwart in eine historische Tradition stellte – mit Bezugnahme u.a. auf Olympe de Gouges und Mary Wollstonecraft – als auch «ihre wirtschaftliche Seite», insbesondere die Lage der Arbeiterinnen, anhand umfangreichen statistischen und empirischen Materials auch im internationalen Vergleich umfassend analysierte. Bebel empfahl das Buch, weil es in der Literatur über die Frauenfrage einen der ersten Plätze einnehme.
Sternstunde oder verpasste Gelegenheit:
Der Kongress 1896
Lediglich ein einziges Mal ergab sich in der Folge die Gelegenheit, dass die Protagonistinnen der beiden Klassen aufeinandertrafen und ihre grundsätzliche Kontroverse in der Öffentlichkeit vor großem Publikum austrugen, und zwar auf dem
Internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen
in Berlin im September 1896. Zu seinen Initiatorinnen gehörten Lina Morgenstern und Minna Cauer sowie Hedwig Dohm, nicht der
BDF
. Eine Woche lang debattierten hier 1700 Teilnehmerinnen aus allen Ländern Europas und den USA in den Räumen des Berliner Rathauses über das weite Spektrum der Frauenfragen, vor allem über den Stand der Frauenbewegung in den verschiedenen Ländern – bei dieser Gelegenheit informierte die französische Delegierte Eugénie Potonié-Pierre über die üblich gewordene Verwendung des Begriffs «Feminismus» in der französischen Presse – von hier aus trat er seinen Siegeszug um die Welt an (vgl. Einleitung). Thematische Schwerpunkte waren Mädchenerziehung, Berufsbildung und Studium, Frauenarbeit und Wohlfahrtseinrichtungen, die Sittlichkeitsfrage, Kunst und Literatur, Frauenrechte und schließlich die hochpolitische Frage, auf welchen Arbeitsgebieten für «die gesamte Frauenwelt» eine klassenübergreifende Kooperation möglich wäre. Die Veranstalterinnen hatten diesmal bewusst auch die sozialdemokratischen Führerinnen und die
Vaterländischen Frauenvereine
eingeladen. Die Sozialdemokratinnen hatten abgelehnt, dennoch war Clara Zetkin gekommen und meldete sich zu Wort, «nicht als Teilnehmerin des Kongresses, sondern als Zuhörerin und Gegnerin». Erneut lehnte sie jegliche Zusammenarbeit ab, erkannte jedoch die Notwendigkeit von Reformen an, nicht ohne hinzuzufügen: «Aber die Arbeiterklasse dankt Euch für diese Reformen nicht, denn … „ das ist nur ein Quentchen gegenüber der Schuld der kapitalistischen Gesellschaft.» In der anschließenden lebhaften Debatte kam es zu einem Schlagabtausch, der alle Klischees und
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