Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
Unvereinbarkeiten bediente. Obgleich Zetkin die Selbstbezeichnung «revolutionäre Klasse» in ihrer «geschichtlichen Bedeutung»,nicht im «Wachstubenjargon» verstanden wissen wollte, griff Anita Augspurg vehement ein und wehrte sich gegen «die Bluttaten einer Revolution», eine andere meinte, hier wäre von «Umsturz» die Rede. Es zeigte sich, dass ausländische Teilnehmerinnen (z.B. die Baronesse Gripenberg aus Finnland) diesen verbissenen Streit gar nicht verstanden, da sie von sehr gelungenen Kooperationen zwischen Bürgersfrauen und Arbeiterinnen berichten konnten. Deshalb versuchte Lily Braun «zur Orientierung der Ausländerinnen» zu erklären, «dass die Verhältnisse in Deutschland infolge der allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung so vollständig verschiedene sind von denen Englands, Amerikas und der Schweiz». Der Kathedersozialist Gottlieb von Schnapper-Arndt aber gemahnte die bürgerlichen Frauen an die Dienstbotenfrage, in der sich die «Damen» als Herrschaften «ihren Schwestern gegenüber» oft genug gar nicht solidarisch oder fortschrittlich verhielten. Minna Cauer, die die Versammlung geleitet hatte, versuchte, noch in ihrem Schlusswort zu vermitteln. Sie lobte nicht zuletzt die Presse, die zahlreichen Vertreter aus dem In- und Ausland, die tagtäglich in nahezu allen bedeutenden Zeitungen und Zeitschriften über den Kongress und seine Inhalte berichtet hatten (Kongressbericht 1897, 393ff.). Man kann sagen, die Frauenbewegung war mit diesem Kongress auch in der deutschen Öffentlichkeit angekommen.
Cauer hat bis zu ihrem Tod mit Clara Zetkin eine freundschaftliche Verbindung gepflegt. Von
Minna Cauer
(1841–1922) war nun schon mehrfach die Rede. Tatsächlich war sie eine der ‹großen Damen›, die den Aufschwung der Frauenbewegung durch vielfältige Initiativen mitgetragen hat und immer an der Spitze der grundsätzlich «bis an die Wurzeln des Übels» gehenden, «radikalen» Richtung auf der bürgerlichliberalen Seite der Frauenbewegung stand – so ihre Selbstbeschreibung. Sie war nicht «nur» Frauenrechtlerin, sondern auch eine radikale Demokratin, das war ihr wichtig. Sie pflegte zeit ihres Lebens engen Kontakt mit der Gruppe linksliberaler Politiker, die später in der
Demokratischen Vereinigung
als erste liberale Partei für das Frauenstimmrecht eintraten. Neben dem Vorsitz im Verein
Frauenwohl,
den sie bis 1919 behielt, neben dem Engagement für die Berufswege kaufmännischer Angestellter und Krankenschwestern, für die Einrichtung der
Realkurse für Frauen
oder als Organisatorin des Kongresses von 1896, war eine Fülle weiterer Initiativen und Vereinsgründungen mit ihrem Namen verknüpft. Zusammen mit Anita Augspurg betrieb sie 1899 die Gründung des
Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine,
der sich wegen grundsätzlicher Differenzen in der Stimmrechtsfrage und im Umgang mit Prostitution und Sexualreform als Alternative zum «gemäßigten»
BDF
verstand und um die Jahrhundertwende Themen und Aktionen der Frauenbewegung in der Öffentlichkeit prägte. Cauer gab von 1895 bis 1919 die Zeitschrift
Die Frauenbewegung
heraus, sie war ihr Sprachrohr und ihr Lebenswerk, zugleich Chronik und Plattform aller Richtungen und Debatten in der Frauenbewegung.
Themen und Debatten
Das Spektrum der Frauenfragen, die um 1900 zur Sprache kamen und öffentlich debattiert wurden, umfasste alle Lebensbereiche, repräsentiert es doch die Anliegen einer «Hälfte der Menschheit». Die wichtigsten Streitpunkte, Niederlagen und Errungenschaften der Frauenbewegung sollen kurz resümiert werden.
Auf dem Gebiet der
Mädchenbildung
, beruflichen Bildung für Frauen und des
Frauenstudiums
konnte die bürgerliche Frauenbewegung dank ihrer Hartnäckigkeit und überzeugenden Konzepte bis zum Ersten Weltkrieg die nachhaltigsten Erfolge erzielen. Nach der Einrichtung von «Realkursen» für Frauen, bei denen neben einer allgemein vertiefenden Bildung die Naturwissenschaften und Nationalökonomie im Vordergrund standen, wurden 1893 unter der Leitung von Helene Lange Gymnasialkurse eröffnet, die eine dem humanistischen Gymnasium entsprechende Ausbildung anboten, um Frauen für die Reifeprüfung und das Universitätsstudium vorzubereiten. Die Lehrer waren Gymnasiallehrer im Nebenamt oder prominente Förderer aus der Wissenschaft, z.B. Max Weber und Gustav Schmoller. Die ersten Absolventinnen bestanden 1896 unter den Augeneiner kritischen Öffentlichkeit extern an einem Jungengymnasium ihr Abitur
Weitere Kostenlose Bücher