Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
mit glänzenden Noten.
Gleichzeitig hatte der
Frauenverein Reform
auf Initiative von Hedwig Kettler 1893 in Karlsruhe eine erste sechsklassige Gymnasialanstalt für Mädchen eröffnet und verfocht das Prinzip der Koedukation. Sehr viel schwieriger gestaltete sich die Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium. In dieser Hinsicht war die Rückständigkeit Deutschlands im Vergleich zum europäischen Ausland und zu den USA besonders auffällig: In den USA studierten Frauen seit 1833, in Zürich seit den 1840er Jahren, in Frankreich seit 1863, England seit 1869, Schweden seit 1873 etc. Eine Erklärung könnte sein, dass die deutsche Universität für Männer der bürgerlichen Schichten in einer nach wie vor ständisch und autoritär strukturierten Gesellschaft
die
entscheidende Schleuse für sozialen Aufstieg und damit zugleich Rekrutierungsfeld für Staatsbeamte war, ein männlich-exklusives «Berechtigungswesen» (Ludwig von Friedeburg 1989), das gerade deshalb von den Aufsteigern bis ins 20.Jahrhundert mit den absurdesten Argumenten verteidigt wurde (vgl. hierzu Arthur Kirchhoff, Die akademische Frau. Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren 1897). Hatte der
ADF
schon 1889 einen Stipendienfonds für das Auslandsstudium von Frauen eingerichtet, so setzte die Frauenbewegung in den 1890er Jahren mit Massenpetitionen, Anfragen an Landtage und Regierungen, Vorträgen und der Ausarbeitung von Reformkonzepten eine Bildungsoffensive in Gang, die in der Öffentlichkeit Wirkung zeigte. Nachdem endlich wohlwollende Professoren Frauen im Einzelfall die Zulassung als Gasthörerinnen gestattet hatten, war die badische Landesregierung um 1900 die erste, die Frauen offiziell zur Immatrikulation an den Universitäten in Heidelberg und Freiburg zuließ. 1906 folgte Sachsen und endlich 1908 auch Preußen. Die Zulassung wurde nun im ganzen Deutschen Reich zusammen mit einer «Neuordnung des Mädchenschulwesens» gesetzlich geregelt.
Ein wesentlicher Motor zur Initiierung einer Massenbewegung waren die
Kämpfe ums Recht
, vor allem um die Stellung der Frau im Zivilrecht. Seit 1871 stand mit der Reichsgründungdie Vereinheitlichung des deutschen Privatrechts an, da bis dahin als Folge der Kleinstaaterei sehr unterschiedliche Rechtsquellen, Kodifikationen, aber auch verschiedene Stadtrechte, Statuten und Gewohnheitsrechte die Rechtslage höchst unübersichtlich gestalteten. Schon 1877 hatte deshalb der
ADF
eine im Blick auf die Rechte der Frau und Mutter gründlich erarbeitete Petition an die mit dem Entwurf für ein Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befasste Kommission des Reichstages geleitet mit der Ermahnung, «bei Abänderung der Zivilgesetzgebung die Rechte der Frauen besonders auch im Ehe- und Vormundschaftsrecht zu berücksichtigen». Als sich jedoch Anfang und Mitte der 1890er Jahre bei den Lesungen der Entwürfe im Reichstag abzeichnete, dass das neue Familienrecht die alten Vorrechte der Ehemänner und Väter, die Bevormundung in allen die Ehe und Erziehung der Kinder betreffenden Angelegenheiten, die Verwaltung und Nutznießung ihres Vermögens sowie die unwürdige Stellung der nicht ehelichen Kinder und ihrer Mütter nicht nur aufrechterhielt, sondern in verschleiernden Worten neu befestigte, setzte ein Proteststurm ein, der alle Richtungen der Frauenbewegung, auch die proletarische vereinigte. Hier war das Unrechtsempfinden im eigenen Erfahrungsraum der Frauen an empfindlicher Stelle getroffen. Der Verein
Frauenwohl
sowie die Rechtskommission des
BDF
unter der Leitung von
Marie Stritt
(1855–1928) initiierten mehrere Petitionen, Resolutionen mit Zigtausenden Unterschriften sowie Massenkundgebungen, die spöttisch als «Frauenlandsturm» charakterisiert wurden. Clara Zetkin forderte ihre sozialdemokratische Reichstagsfraktion auf, «rückhaltlos für die volle rechtliche Gleichstellung der Geschlechter einzutreten». Auch einige prominente Männer, Professoren, Künstler, Juristen, darunter der Geheime Justizrat Carl Bulling oder der Sozialdemokrat Anton Menger, sprangen den Frauen in letzter Minute zur Seite. Doch es half alles nichts: «… das Familienrecht und die wichtigsten Lebensfragen der größeren Volkshälfte», so empörte sich die Berichterstatterin Marie Stritt, wurden «in ganz oberflächlicher Weise erledigt, wohl unter üblicher Betonung der ‹idealen› Standpunkte, der ‹gottgewollten Ordnung›, des ‹Schutzes des schwachen Geschlechts›aber auch meist unter einer das gewohnte Maß
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