Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
Aber auch den Frauen selbst, die sich hinter ihrer Mutterideologie und Weiblichkeit verschanzten, rief sie wie in einem Weckruf zu: «Erwachet, Deutschlands Frauen, … wenn ihr Grimm genug habt, Eure Erniedrigung zu fühlen, und Verstand genug, um die Quellen Eures Elends zu erkennen. Fordert das Stimmrecht, denn nur über das Stimmrecht geht der Weg zur Selbständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau» (Dohm 1876, 183).
Aufschwung und Profilierung
Der Aufschwung der Frauenbewegung um 1890 in Deutschland verdankte sich einer neuen politischen Gelegenheitsstruktur: die Entlassung Bismarcks, die Aufhebung der Sozialistengesetze, ein neues sozialpolitisches Problembewusstsein, das auf die Befriedung der gesellschaftlichen Konflikte setzte, gleichzeitig die Verschärfung der Widersprüche zwischen traditioneller Frauenrolle und wirtschaftlicher, industriekapitalistischer Entwicklung. Die Deutung der frauenspezifischen Unrechtserfahrungen wurde von den Führerinnen der beiden Richtungen, der bürgerlichen und proletarischen, anscheinend unabhängig voneinander, aber fast gleichzeitig am Ende der 1880er Jahre zu zwei unterschiedlichen Emanzipationskonzepten verdichtet, die die Politik der Frauenbewegung bis in die 1920er Jahre bestimmen sollten.
Helene Lange
(1848–1930) hatte 1887 ihre sog.
Gelbe Broschüre
, eine Petition an das preußische Unterrichtsministerium nebst Begründung in der Art eines Manifestes veröffentlicht, die großes Aufsehen erregte. Sie kritisierte darin pointiert und scharf die preußische Schulpolitik, insbesondere das Mädchenschulwesen, und begründete ihr bürgerliches Emanzipationskonzept – «Wissen ist Macht» – als Eigenrecht der Frau auf Bildung um ihrer selbst und nicht «um des Mannes willen». Es war eine deutliche Antwort auf die Beschlüsse einer Versammlung von Mädchenschullehrern, die sich noch 1872 richtungweisend darauf geeinigt hatten: «Es gilt dem Weibe eine der Geistesbildung des Mannes … ebenbürtige Bildung zu ermöglichen, damit der Mann nicht durch die geistige Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit seiner Frau an dem häuslichen Herde gelangweilt und in seiner Hingabe an höhere Interessen gelähmt werde …» (Lange 1928, 1ff.).
Helene Lange verstand es, ihre Vorstellungen zur Mädchenschulreform und Lehrerinnenausbildung mit der Forderung nach Partizipation und Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu verbinden. Die Petition enthielt im Kern bereits das Programm «geistiger Mütterlichkeit» bzw. «organisierter Mutterliebe»,das später die berufliche und soziale Politik der bürgerlichen Frauenbewegung in ihrer mehrheitlich gemäßigten Richtung bis zum Ende der 1920er Jahre leiten sollte. Mütterlichkeit als Programm meinte nicht etwa nur biologische Mutterschaft, sondern soziale, «auf die Welt übertragene Mütterlichkeit», d.h. die gleichberechtigte Beteiligung und weiblichen Einfluss in allen Lebensbereichen, um den besonderen «Kultureinfluss der Frau zur vollen inneren Entfaltung und freier sozialer Wirksamkeit zu bringen» (so das Programm des
ADF
von 1907). Es setzte im Gegensatz zu den Feministinnen der 1848er Revolution nicht auf Gleichheit und Gleichberechtigung mit dem Manne, sondern bezog sich nun auf die Geschlechterdifferenz als Deutungsrahmen und auf eine Geschlechterphilosophie, die grundsätzlich die Wesensbestimmtheit der Frau und die daraus abgeleitete geschlechtsspezifische Arbeitsteilung unangetastet ließ. Als Gegenentwurf gegen den «naturfremden und Natur missachtenden Rationalismus der modernen, kapitalistischen Welt» (Bäumer 1921) hatte dieses Programm in seiner Zeit einen durchschlagenden Erfolg, war gleichwohl anfällig und konnte jederzeit mit der Festlegung auf diese Frauenrolle gegen emanzipatorische Interessen vereinnahmt werden. Lange blieb die Vordenkerin, in vielfältigen Funktionen und Vorständen tätig, eine charismatische Pädagogin, die zu ihrer Zeit als die «Führerin der deutschen Frauenbewegung» verehrt wurde. Von 1893 an gab sie, später zusammen mit Gertrud Bäumer, die Zeitschrift
Die Frau
heraus, die Monatsschrift der bürgerlichen Frauenbewegung, in der in großen Leitartikeln, insbesondere der Herausgeberinnen bzw. in strenger Auswahl der Autorinnen, auf hohem intellektuellen Niveau die theoretischen Positionen und ideologischen Richtlinien der Frauenbewegung behandelt wurden.
Clara Zetkin
(1857–1933) war Langes Gegenpart auf der Seite der proletarischen
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