Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
übersteigenden Heiterkeit …» Es bedurfte großer Anstrengungen, um alle die Bestimmungen des BGB, die die Frauen damals schon als «unwürdig, unzeitgemäß und kulturhemmend» kritisierten, nach 1949, nach der Verankerung des Art. 3 GG – wie Stritt prophezeit hatte – quasi als «Abschlagszahlungen auf die Forderungen der Frauen» vor 1900 zu berichtigen, in Westdeutschland erst 1957 durch das Gleichberechtigungsgesetz bzw. 1977 durch die Familienrechtsreform.
Marie Stritt, für deren politisches Engagement die Rechte der Frauen vom Stimmrecht bis zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts von grundlegender Bedeutung waren, war von 1899 bis 1910 Vorsitzende des
BDF,
in einer Zeit der Höhepunkte und Richtungskämpfe. Doch ihr Versuch, gerade auch in Rechtsfragen zwischen der gemäßigten Mehrheit und den Radikalen zu vermitteln, schlug fehl, sie wurde 1910 als Vorsitzende abgewählt, gab jedoch noch bis 1921 das Publikationsorgan
Die Frauenfrage. Das Centralblatt des BDF
heraus. An ihrer Stelle übernahm nun bis 1920
Gertrud Bäumer
(1873–1954), seit dem Ende der 1890er Jahre Arbeits- und Lebensgefährtin Helene Langes, Vorsitz und Regie im
BDF.
Im Zentrum der Auseinandersetzungen vor 1914 standen das
Frauenstimmrecht
und damit die grundsätzliche Frage, ob das Wahlrecht Ausgangspunkt oder erst die Krönung aller Frauenbestrebungen sein solle. Denn dass Frauen in Zukunft aktiv und passiv wahlberechtigt sein sollten, war unter allen Frauenrechtlerinnen unstrittig, die Frage war nur, wann, und ob es strategisch sinnvoll wäre in einer Zeit, in der auch Männer außer im Reichstag in den meisten deutschen Teilstaaten bis 1918 kein allgemeines und gleiches, vielmehr nur ein nach Besitz geschichtetes Wahlrecht hatten (z.B. das Drei-Klassen- in Preußen, Acht-Klassen-Wahlrecht in Bremen). Hinzu kam, dass bisher lediglich die SPD das Frauenwahlrecht 1891 in das Erfurter Programm aufgenommen und 1896 zum ersten Mal im Reichstag eingebracht hatte, was die Forderung in die Nähe des «Umsturzes» rückte. Während die «Gemäßigten» in durchaus realistischer Einschätzung der deutschen Parlamentarier ihre Taktik verteidigten,Frauen sollten erst «Leistungen» auf sozialem und kulturellem Gebiet erbringen, um mit diesen «Trümpfen in der Hand … die geschichtlichen Mächte vorwärts zu treiben» (Lange 1928, 195), beharrten die anderen auf dem Menschenrecht, als freie und gleiche Staatsbürgerin an Selbstbestimmung und Gesetzgebung beteiligt zu sein. Für die einen war die Frauenfrage somit vor allem eine Kulturfrage mit dem Ziel, «weibliche Eigenart» auf allen Lebensgebieten zur Ergänzung und Korrektur männlicher Einseitigkeit zur Geltung zu bringen, für die anderen war sie eine Rechtsfrage. Dieses moderne, naturrechtlich begründete Vertrauen auf Recht als das einzig legitime Instrument zur Herstellung gerechter Verhältnisse hat
Anita Augspurg
(1857–1943) 1895 in der ersten Nummer der Zeitschrift
Die Frauenbewegung
zum Ausdruck gebracht: «Die Frauenfrage ist zwar zum großen Teil Nahrungsfrage, vielleicht in noch höherem Maße Kulturfrage, … in allererster Linie ist sie Rechtsfrage, weil nur auf der Grundlage verbürgter Rechte … an ihre sichere Lösung gedacht werden kann … Was immer eine einzelne Frau erreicht und erringt in Kunst, in Wissenschaft, in Industrie, an allgemeinem Ansehen: Es ist etwas Privates, Persönliches, Momentanes … es haftet ihm immer der Charakter des Ausnahmsweisen an und kann daher nicht zur Regel werden, nicht Einfluss gewinnen auf die Allgemeinheit.»
Anita Augspurg war die erste deutsche Juristin, die in Zürich studiert und promoviert hatte und als streitbare Publizistin Frauenrechte und «Geschlechtsjustiz» auf die politische Agenda gebracht hatte. Sie war es, die Anfang 1902 zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann und Minna Cauer den ersten
Deutschen Verein für Frauenstimmrecht (DVF)
gründete, und zwar in Hamburg, weil die Vereinsgesetze Frauen hier nicht explizit von politischer Betätigung ausschlossen. Er entwickelte sich von da aus über Einzelmitgliedschaften zu einem Propagandaverein für ganz Deutschland. Das war die Voraussetzung, um auch international in der Stimmrechtsbewegung vertreten zu sein, die sich 1902 zu einer ersten internationalen Stimmrechtskonferenz in Washington D.C. getroffen hatte. Denn im internationalen Vergleich war das Frauenstimmrecht in Deutschlandspät zu einem öffentlich verhandelten Thema geworden. Das
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