Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
Frauenbewegung. Sie hielt auf dem Gründungskongress der
Zweiten Internationale
1889 in Paris vor der Weltöffentlichkeit eine große, viel beachtete Rede über den notwendigen Zusammenhang von Sozialismus und Frauenfrage, die im Anschluss an Bebel und Friedrich Engels die sozialistische Frauenemanzipationstheorie als Parteidoktrin begründete.Danach war die «Befreiung der Frau» nur über den Weg gleichberechtigter Erwerbstätigkeit und «Schulter an Schulter» mit den Genossen durch Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse zu erreichen. Die von Zetkin von 1892 bis 1917 herausgegebene Zeitschrift
Die Gleichheit
war ihr Propagandainstrument, das der Agitation und Schulung der Frauen im Klassenkampf diente und in dem alle Kontroversen ausgetragen wurden über Revisionismus, Reformismus und Revolution, vor allem aber die dogmatische Abgrenzung gegenüber der bürgerlichen Frauenbewegung begründet wurde.
Als wenn plötzlich die Schleusentore geöffnet worden wären, entstanden um 1890 neben dem
ADF
, ja oft genug aus dem Kreis der dort aktiven Frauen heraus, eine Vielzahl neuer Initiativen und Vereine, die die verschiedenen Aspekte und Probleme im Geschlechterverhältnis aufgriffen und mit neuen Mitteln der Propaganda (mit Zeitschriften, Frauenprojekten von Frauen für Frauen, Vortragsreisen und Volksversammlungen) Themen und Diskussionen anzündeten. Als wichtigste Vereine und nur beispielhaft zu nennen sind: Der
Verein Frauenwohl
, Berlin, 1888 von Minna Cauer gegründet, vereinigte zunächst alle, die später von sich reden machen sollten. Er ist wie ein ‹Wespennest› zu betrachten, aus dem sich die später führenden Persönlichkeiten rekrutierten. Gemeinsam mit Helene Lange und der Ärztin Franziska Tiburtius wurden von hier aus die ersten
Realkurse für Frauen
eingerichtet, die eine privat organisierte Fortbildung nach der
Höheren Töchterschule
boten.
Der Allgemeine Deutsche Lehrerinnenverein
, seit 1890 von Helene Lange und Marie Loeper-Housselle angeführt, bildete den Nährboden für die Konzeptionalisierung weiblicher Bildung und Berufstätigkeit. Der
Kaufmännische Hilfsverein für weibliche Angestellte
bot seit 1889 unter der Leitung von Minna Cauer seinen Mitgliedern im neuen frauentypischen Berufsbereich nicht nur Stellenvermittlung, Weiterbildung und Rechtsberatung an, sondern trieb eine quasi gewerkschaftliche, aber frauenbewusste Berufspolitik. Die
Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit
, von Jeanette Schwerin 1893 ins Leben gerufen, ab 1899 von
Alice Salomon
(1872–1948) geführt, bildeten durch die Verbindungvon praktischer und theoretischer Ausbildung die Wiege für die Professsionalisierung weiblicher Sozialarbeit. Der
Rechtsschutzverein Dresden
wurde 1894 von
Marie Stritt
(1855–1928) gegründet und bot nicht nur kostenlose Rechtsberatung für Frauen, sondern wurde zum Vorbild für ein ganzes Netz von Rechtsschutzstellen und zum Ausgangspunkt für eine feministische Rechtspolitik (1914 gab es in Deutschland 97 Rechtsschutzstellen von Frauen für Frauen).
Alle diese Vereine schlossen sich 1894 zu einem Dachverband, dem
Bund Deutscher Frauenvereine (BDF)
, zusammen. Die Anregung hierzu war von den Amerikanerinnen ausgegangen. Nachdem drei Mitglieder des
ADF
einer Einladung zur Generalversammlung des
International Council of Women (ICW)
gefolgt waren, die anlässlich der Weltausstellung 1893 in Chicago abgehalten wurde, kamen sie mit der Idee zurück, entsprechend dem amerikanischen nationalen Frauenrat «durch organisiertes Zusammenwirken … die gemeinnützigen Frauenvereine zu stärken, um ihre Arbeit erfolgreich in den Dienst des Familien- und Volkswohls zu stellen». So § 2 der Satzung, der ausdrücklich ein Zusammengehen nur in solchen «allgemeinen Arbeitsgebieten» vorsah, «zu denen alle von Herzen ihre Zustimmung geben können». Als nationale Dachorganisation, die u.a. Voraussetzung war für die Mitgliedschaft im
ICW
, vereinigte der
Bund Deutscher Frauenvereine
34 höchst unterschiedliche Vereine und bildete nach der Jahrhundertwende mit über 130 Vereinen und 70.000 Mitgliedern, 1912 mit rund 330.000 Mitgliedern (Bäumer 1921, 23) einen Faktor im politischen und kulturellen Leben.
Gleichwohl war der
BDF
von Anbeginn mit einem Konstruktionsfehler behaftet, über den viel gestritten und diskutiert wurde: Er hatte die sozialdemokratisch orientierten Arbeiterinnenvereine ausgeschlossen bzw. gar nicht erst zur Kooperation eingeladen. Diese Vorsicht gehorchte,
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