Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
lag zweifellos an den Vereinsgesetzen, aber auch an mangelnder demokratischer Übung und einem hartnäckigen Antifeminismus, den Hedwig Dohm 1902 in ihrer Essaysammlung
Die Antifeministen
scharfzüngig analysierte und ironisierte. 1902 nahm nun auch der
BDF
die Wahlrechtsforderung in sein Programm auf.
Nicht weniger dramatisch verliefen die Auseinandersetzungen in der Sittlichkeitsfrage. Der 1889 von Hanna Bieber-Böhm gegründete
Verein Jugendschutz
, der den
BDF
zunächst mutig in die Pflicht genommen hatte, nicht in moralischer Entrüstung die Augen vor dem Elend der Prostitution zu verschließen, obwohl dabei «sehr peinliche Dinge berührt» wurden, verfolgte aus Gründen des Jugendschutzes zunehmend ein Verbot und also die Strafverfolgung der Prostituierten wie der männlichen Kunden. Die Bestrafung aber widersprach den von Josephine Butler (1828–1906) begründeten Prinzipien der
Internationalen Abolitionistischen Föderation,
die grundsätzlich nur das System staatlicher Reglementierung abschaffen wollte (englisch «to abolish», was sich in deutlicher Anlehnung an diesen Terminus für die Sklavenbefreiung auch gegen die «sexuelle Sklaverei» richtete). Zur Bekämpfung der Reglementierungspraxis wurden zum Ende des Jahrhunderts Zweigvereine der
Internationalen Föderation
in Hamburg, Berlin und Dresden gegründet. Insbesondere der Hamburger Verein unter der Leitung von
Lida Gustava Heymann
(1868–1943) nahm unter persönlichem Einsatz im Hafenmilieu den Kampf gegen das Bordellwesen in ihrer «Vaterstadt» auf. Die wohlhabende Kaufmannstochter und Lebensgefährtin von Anita Augspurg leistete feministische Pionierarbeit mit einem ersten Frauenzentrum, das sowohl einen Mittagstisch für Arbeiterinnen und Angestellte, einen Kinderhort, eine Beratungsstelle sowie Rechtsschutz als auch Räume für Geselligkeiten, Abendunterhaltungen, Vorträge und Vereinsversammlungen anbot. Für die auch in Deutschland nach der Jahrhundertwende erstarkende abolitionistische Bewegung gab Katharina Scheven eine eigene Monatsschrift
Der Abolitionist
(1902–1933) heraus, die unter dem Motto «Es gibt nur eine Moral, sie ist die gleiche fürbeide Geschlechter» sich auf die Themen Prostitution, Mädchenhandel und Geschlechtskrankheiten konzentrierte.
Als schließlich
Helene Stöcker
(1869–1943) noch einmal viel grundsätzlicher in die Debatte um Sittlichkeit, Sexualaufklärung, Abtreibung und Homosexualität eingriff und die herrschende Sexualmoral ins Zentrum ihrer Gesellschaftskritik stellte, brach ein Meinungsstreit aus, der die Fronten noch einmal vertiefte. Ihre Kritik an der Institution der Ehe und ihr Eintreten für eine «freie» und selbstbestimmte Liebe, eine «neue Ethik» wechselseitiger Anerkennung zwischen den Geschlechtern und die «Umwertung der Werte» wurde als skandalös gebrandmarkt. Ihr sozialpolitisches Programm zum Mutterschutz, das nicht nur eine allgemeine Mutterschaftsversicherung, sondern gerade auch die Gleichberechtigung der nicht verheirateten Mütter und nicht in einer Ehe geborenen Kinder beinhaltete, rührte so gefährlich an die Grundfesten der bürgerlichen Ordnung, dass Helene Lange es scharf und polemisch als «feministische Gedankenanarchie» geißelte. Stöcker gründete 1905 den
Bund für Mutterschutz und Sexualreform
, dem der
BDF
jedoch die Aufnahme in seine Reihen verweigerte.
Die Unterscheidung zwischen Gemäßigten und Radikalen ist in der Frauengeschichtsforschung neuerdings problematisiert und trotzdem in allen Darstellungen weiterhin verwendet worden. Sie ist zutreffend, weil die Zuschreibungen von den Beteiligten auf beiden Seiten entweder zur Selbstbezeichnung oder Abgrenzung benutzt wurden. Das heißt nicht, dass es nicht immer wieder Querverbindungen und wechselnde Kooperationen gab, etwa in der Frage der Reform des § 218 StGB, zu der die Rechtskommission des
BDF
mit Marie Stritt und unter der Leitung von
Camilla Jellinek
(1860–1940), lange Zeit Leiterin der Rechtsschutzstelle in Heidelberg, Vorschläge zur Streichung des Paragraphen erarbeitet hatte, die jedoch 1908 von der Mehrheit im Bund überstimmt und abgelehnt wurden. Und obwohl die einen ihre Zielsetzungen in die Forderung nach gleichen Rechten kleideten und die anderen die wesensgemäße Verschiedenheit der Geschlechter betonten, wäre es zu einfach, die ideologischen Meinungsverschiedenheiten in der Terminologie von Gleichheitund Differenz zu erklären. Denn auch unter den Radikalen waren viele der Auffassung,
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