Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
jedes Landes das tun, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Bürgerinnen des betreffenden Landes als Pflicht erscheint.» Im Gegensatz zum
ICW
versuchte der Internationale Stimmrechtsverband (
IWSA
, später
IAW
) wenigstens die Kommunikation in seiner Verbandzeitschrift
Jus Suffragium
aufrechtzuerhalten. Immerhin unternahm eine Minderheit konsequenter Pazifistinnen aus dem Kreis der Stimmrechtlerinnen, initiiert von der Holländerin Aletta Jacobs unter Mitwirkung von Anita Augspurg sowie der amerikanischen Sozialreformerin
Jane Addams
(1860–1935), die im Januar 1915 in den USA die erste
Women’s Peace Party
gegründet hatte, das Wagnis, mitten im Krieg zu einer Weltfrauenkonferenz neutraler und Krieg führender Staaten nach Den Haag einzuladen. 1200 Delegierte aus zwölf Ländern waren vertreten, dazu viele Grußadressen und Sympathiekundgebungen von Intellektuellen und Prominenz aus aller Welt. Aber es gab auch deutliche Absagen, z.B. vom französischen Nationalen Frauenrat. Zweierlei war an diesem Friedenskongress bemerkenswert: Die Veranstalterinnen hatten erreicht, dass die dort verabschiedeten Beschlüsse und Kampagnen für internationale Vereinbarungen zur Beendigung des Krieges mit der Forderung nach politischer Gleichberechtigung der Frauen verknüpft wurden. Dahinter stand die feste Überzeugung, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in den Parlamenten und Regierungen zukünftig Kriege verhindern könne – also ein Rekurs auf die Geschlechterdifferenz, die Gleichberechtigung voraussetzt. Ungewöhnlich war darüber hinaus der praktische Versuch, durch die Entsendung einer Frauendelegation («envoyées») die europäischen Regierungen sowie die amerikanische Regierung persönlich von der Notwendigkeit der Beendigungdes Krieges zu überzeugen. Im Dokumentationsband der
Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF)
, die sich 1919 auf der Basis des Haager Kongresses als dritte internationale Frauenorganisation konstituierte, ist zu lesen, dass die Beschlüsse der Frauen die Grundlage für das 14-Punkte-Programm des amerikanischen Präsidenten Wilson und damit auch für den Friedensschluss im Versailler Vertrag bildeten. Von der
BDF
-Führung wurden die 43 deutschen Delegierten, die unter schwierigsten Bedingungen angereist waren, als «Vaterlandsverräterinnen» denunziert.
Noch einmal, kurz vor dem Ende des Krieges im Dezember 1917, gelang es den Stimmrechtsvereinen aller Richtungen, eine gemeinsame «Erklärung zur Wahlrechtsfrage» an den Deutschen Reichstag und alle Länderparlamente zu schicken, unterschrieben von Marie Juchacz für die Sozialdemokratinnen, von Marie Stritt und von Minna Cauer. Noch im Mai 1918 lehnte das preußische Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit das gleiche Wahlrecht aller Bürger, auch der Frauen, ab. Erst nach der militärischen Niederlage im Krieg, der Novemberrevolution und der Abdankung des Kaisers wurde das Frauenwahlrecht am 12. November 1918 mit einem Aufruf des
Rates der Volksbeauftragten
in Deutschland eingeführt. Es ist viel darüber debattiert worden, wem die Frauen nun die Anerkennung als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen verdankten, den unermüdlichen Forderungen und Kämpfen der Frauenbewegung, ihrem Kriegseinsatz an nationaler Front oder «dem Bankrott der Männerherrschaft» (Augspurg). Wahrscheinlich kam alles zusammen, doch wie viel damit gewonnen war, sollte erst der Fortgang der Geschichte zeigen.
4. Zwischen und nach den Weltkriegen
1919 bis 1949
Die Einführung des Frauenwahlrechts im November 1918 war ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Zum ersten Mal wurden den deutschen Frauen gleiche Staatsbürgerrechte zugestanden, zum ersten Mal wurde in Deutschland eine parlamentarische Demokratie eingeführt mit einer Verfassung, die mit einem Katalog von Grundrechten und Grundpflichten, Gewaltenteilung und – durch die Möglichkeit des Volksbegehrens oder Volksentscheids – mit weit reichender Souveränität des Volkes eine späte Erfüllung der Träume der 1848er Revolution versprach. Doch eine Verfassung und ein gleiches Wahlrecht sind erst die Form – sie durch gemeinsames politisches Handeln auszufüllen war das Problem auch der Frauen. Schon nach 1908, als den Frauen und Frauenvereinen mit der Aufhebung der Vereinsgesetze endlich gestattet wurde, sich politisch, also auch parteipolitisch zu betätigen, waren die Differenzen deutlich zu Tage getreten, wurde fraglich, wie unabhängig oder
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