Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
dass es eine wesensgemäße oder zumindest sozial hergestellte Geschlechterdifferenz gebe, die Frauen in besonderer Weise befähige, politisch zu wirken. Es waren also nicht nur Unterschiede zwischen einer «jüngeren» und der «älteren» Richtung oder nur eine Frage des Tempos und des Stils, vielmehr äußerte sich im Richtungsstreit ein unterschiedliches Verständnis von Staat und Nation, von Gesellschaft und Individuum. Obwohl sich beide Richtungen als Vertreterinnen des politischen Liberalismus verstanden, beeinflusste ihr Verhältnis zu Staat und Recht und Menschenrechten letztlich auch ihre Bereitschaft zu internationaler Orientierung und Kooperation (s.u.). Mit der Gründung auch konfessioneller Frauenverbände wie dem
Deutsch-Evangelischen Frauenbund (DEF)
1899 und dem
Jüdischen Frauenbund (JFB)
1904, die beide dem
BDF
beitraten, und dem
Katholischen Frauenbund
ebenfalls 1904, der sich fernhielt, sich jedoch als Teil der Frauenbewegung verstand, verbreiterte sich nicht nur die Basis der Bewegung beachtlich, auch das Spektrum der Ansichten zur Geschlechterordnung wurde bunter. In jedem Fall aber waren die in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Richtungskämpfe ein Zeugnis für die Breite und Lebendigkeit der Bewegung, deren Programmatik und politische Relevanz nun eigentlich nicht mehr zu übergehen war.
Ein wichtiges Datum und politischer Erfolg in dieser Zeit war schon nach Ansicht der Zeitgenossinnen «mit goldenen Lettern in die Geschichte der Frauenbewegungen einzuzeichnen». Nach mehr als einem halben Jahrhundert des Verbots politischer Betätigung von Frauen in Versammlungen und Vereinen, nach Verfolgung, polizeilichen Schikanen und Protestaktionen wurden 1908 endlich die Vereinsgesetze aus der Reaktionszeit nach 1848 durch ein einheitliches Reichsvereinsgesetz abgelöst. Es gewährleistete Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, ohne «Frauenspersonen» überhaupt noch zu erwähnen.
Internationales und Krieg
Noch einmal war die international organisierte Frauenwelt in Deutschland zu Gast, und zwar im Juni 1904 zur Weltfrauenkonferenz des
International Council
in Berlin. Es war ein glänzendes gesellschaftliches Ereignis, zu dem der
BDF
turnusmäßig die Vertreterinnen von 7 Millionen Mitgliedern in 24 Ländern eingeladen hatte. Mehr als 2000 Frauen waren gekommen, die eine Woche lang das Bild der Berliner Öffentlichkeit bestimmten, darunter die hochbetagte
Susan B. Anthony
(1820–1906), Weggefährtin von Elizabeth Cady Stanton; beide hatten zusammen seit 1850 die amerikanische Frauenbewegung angeführt. Für die deutsche Frauenbewegung und ihr Publikum war es eine Demonstration der Stärke und Vielfalt ihrer Bestrebungen und zugleich der Nachweis, dass die Frauenbewegung eine «mächtige internationale Kulturbewegung» war (Lange 1904). In Sektionen wurden die vier zentralen Arbeitsfelder im Ländervergleich erörtert: Frauenbildung, Frauenerwerb und -berufe, die sozialen Einrichtungen sowie die rechtliche Stellung der Frau, eingeleitet durch das Credo, das Marie Stritt als Vorsitzende des
BDF
in ihrer Eröffnungsansprache so formulierte: «Nicht um dem Manne
gleich
zu werden, sondern um mehr und ganz
sie selbst
sein zu können, fordert die Frau das Recht der freien Selbstbestimmung auch für sich …, weil wir
andersartig
, der menschlichen Kultur, der Welt da draußen
als Frauen
ganz andere, neue, höchste Werte zu geben haben, Güter, die ihr bis heute gefehlt haben …» (Hervorh. i. O.) Im Kongressband (1897) findet sich auch der Vortrag einer schwarzen Amerikanerin, Mary Church Terrell, die, wie sie selbst sagte, «Aufmerksamkeit verdient: Erstens bin ich die einzige Frau auf diesem Kongress, welche eine Rasse vertritt, die sich kaum 40 Jahre der goldenen Freiheit erfreut, und zweitens die einzige, deren Eltern tatsächlich Sklaven waren. Ich freue mich der Emanzipation meiner Rasse und dann der allgemeinen Erhebung des weiblichen Geschlechts.»
Daneben wurde ein opulentes Rahmenprogramm inszeniert. Dazu gehörten kulturelle Veranstaltungen und Einladungen beinahezu allen bedeutenden Persönlichkeiten, z.B. beim Reichskanzler von Bülow, und eine Audienz der internationalen Prominenz bei der Kaiserin Augusta. Die Presse berichtete ausführlich in Schrift und vielen Bildern. Dass die Frauenbewegung damit nicht nur «gesellschafts- und salonfähig, ja, sogar hoffähig» geworden, gab Minna Cauer in einem Kommentar ihrer Zeitschrift allerdings zu denken.
Im Zusammenhang, doch nicht im
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