Frauenversteher
oben. Seine Atmung erlaubt unter Anspannung seiner Brust- und Bauchmuskulatur nur ein zittriges Ausatmen durch die Nase. Wenn die Frau jetzt nicht einschreitet, wird er diese körperliche Anstrengung nicht mehr lange aushalten können. Tränen werden ihm in die Augen schießen, rot angelaufen ist er ja schon.
»Das kann doch wohl nicht wahr sein!« Fassungslos starrt die Frau ihren Lebensabschnittsbegleiter in einer solchen Situation an. »Das findest du witzig?« Ihre Augen verengen sich zu gefährlichen Schlitzen, aus denen Flammen schießen.
Der Mann erkennt dieses äußerliche Anzeichen drohender Gefahr bereits und versucht eine erste, relativ unbeholfene Deeskalationsstrategie.
»Na ja, nein, bis gerade eben vielleicht schon ein bisschen. Jetzt natürlich nicht mehr.« Er hat diesen stolperigen Satz noch nicht ganz zu Ende gebracht, als ihm klar wird, dass es damit nicht besser werden wird, im Gegenteil, es wird schlimmer werden.
Frauen erfühlen instinktiv sehr schnell die eigene moralische Überlegenheit und kosten sie in einer aus ihrer Sicht angebrachten
Situation gerne aus. »Na gut, dann schauen wir uns dieses so überaus witzige Zitat doch noch einmal genau an.«
Aus männlicher Sicht erscheint die Frau in diesen Momenten sehr oft ganz herrlich lehrerhaft, was dem Zweck der Belehrung leider nur allzu häufig zuwiderläuft, da der Mann die Lehrerhaftigkeit seiner Partnerin sehr schnell mit pubertär erotischen Rückblicken in seine eigene Jugend assoziiert. Männer können dann ganz plötzlich mit ihren Gedanken ganz weit zurück in die Vergangenheit reisen, und die Gegenwart verschwimmt zu einem blassen Rauschen.
Obwohl er sich sehr wohl bewusst ist, dass es für ihn jetzt immer unangenehmer werden wird, kann der Mann nicht anders, als seine Gedanken abschweifen zu lassen. Es kann bis heute nicht hinreichend erklärt werden, woran es liegt, aber wenn Frauen diese latent aggressive, intellektuell gehobene Stimme auf ihren Partner richten, denken viele Männer an ihre Französischlehrerin (oder Englischlehrerin oder Spanischlehrerin – Hauptsache sie unterrichtete eine Fremdsprache) aus der achten Klasse.
Damals war er gerade vierzehn gewesen und wie die Hälfte der Jungen aus seiner Klasse in seine Französischlehrerin verliebt. Es war die Zeit der langen Pullover, wie wir Männer uns gerne schmunzelnd erinnern. Alle Jungen dieses Alters trugen damals, während der ersten verwirrenden Welle pubertärer Einschläge, lange, weit über den Gürtel der Hose hängende Pullover, Hemden oder T-Shirts. Nie wurde Oberkörperbekleidung in die Hose hineingesteckt, das war völlig ausgeschlossen. Was nach außen hin für Eltern, Lehrer und andere Erwachsene als kleiner, wenn auch leicht unschicklicher Versuch textiler Abgrenzung und Selbstfindung achselzuckend hingenommen wurde, war in Wahrheit eine durch Schamhaftigkeit angetriebene Notwendigkeit. Natürlich haben die Jungen immer wieder behauptet, es sei uncool, Hemden in die Hose zu stecken oder Pullover zu tragen, die nur bis zum Gürtel oder knapp darüber reichten. In Wahrheit aber
wurden damit nur die peinlichen Momente mit textilem Notbehelf kaschiert, die in den unpassendsten Situationen auf die jungen Männer erotisierend wirkten, und das sind in diesem Alter ungefähr fünfundachtzig Prozent aller alltäglichen Situationen, in denen nicht geschlechtsgleiche Mitglieder der eigenen Spezies anwesend sind.
Die Frau erkennt die geistige Abwesenheit des Mannes in der Gegenwart meist an seinem leicht entrückten Lächeln und seinen glasigen Augen, die in eine andere Welt zu schauen scheinen.
»Hörst du mir überhaupt zu?« So oder ähnlich wird die Frau die Gedankenblasen des Mannes zerplatzen lassen, und sie ist dabei ernsthaft verstimmt. Der Mann löst sich aus seinen Erinnerungen an die Französischlehrerin und konzentriert sich auf seine gegenwärtige Aufgabe. Er muss Schadensbegrenzung betreiben.
»Hm? Sicher höre ich dir zu.«
»Na gut. Da wird also ein zugegebenermaßen verdienter Schriftsteller und Dichter wie Samuel Beckett mit den Worten zitiert: ›Wenn Frauen nicht mehr wissen, was sie tun sollen, dann ziehen sie sich aus, und das ist wahrscheinlich das Beste, was Frauen tun können.‹ Wo genau ist jetzt da der Witz?«
»Ja, ein Witz im eigentlichen Sinne ist da natürlich keiner.«
»Warum hast du dann gelacht?«
»Ich hab gar nicht gelacht.«
»Doch, hast du. Du hast innerlich gelacht, ich habe das sehr wohl bemerkt.
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