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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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riss die Tür auf, und ein schmaler, dunkelhaariger und dunkelhäutiger Halbwüchsiger betrat den Raum mit der ungeduldigen Haltung von jemandem, der es eilig hat, das Kommende hinter sich zu bringen.
    Nach wie vor in einem langärmeligen T-Shirt, kurzen Sporthosen und Flip-Flops, hielt er in der einen Hand ein Handy und in der andern eine Tube, über deren Inhalt ich nur spekulieren konnte.
    »So sieht man sich wieder«, sagte ich zu meinem Freund vom Duisburger Bahnhof. Nach nur einem Blick - flüchtig, abschätzend, von oben nach unten - blendete er mich einfach aus. Immer noch nichts zu holen, hatte er entschieden.
    »Sie wollten mir noch den Namen und die Adresse des Aufbereiters geben«, erinnerte ich Laurentz, doch der gönnte sich nur noch einen hastigen, heftigen Schluck aus der Pulle und verschwand dann unverzüglich mit dem Knaben im Schlafzimmer.
    Die Tür war noch nicht ins Schloss gefallen, da hockte ich schon an Laurentz’ antikem Schreibtisch und durchwühlte die Laden. Er konnte mir erzählen, was er wollte, ich war nach wie vor überzeugt, dass er den Wagen selbst beiseitegeschafft hatte.
    Man kann ein Auto nur schlecht verstecken, ohne dass das Spuren hinterlässt, zum Beispiel in Form eines Mietvertrages. Für eine Garage, passenderweise, oder einen Lagerraum.
    Hinter der Schlafzimmertür kam es unüberhörbar zu Differenzen.
    Kein Mietvertrag im Schreibtisch, eigentlich kaum Papier, mehr Glas. In Flaschenform, das meiste. Die Differenzen nahmen an Lautstärke zu. Schrill, giftig und undefinierbar angstdurchsetzt die Stimme des Strichers, rau, angesoffen und auf eine pöbelnde Art fordernd die von Laurentz.
    Ich hatte gerade einen Stapel Kontoauszüge aufgeblättert, als die Schlafzimmertür aufgerissen wurde, und ich wieder da saß, wo ich vorher auch gesessen hatte. Der Knabe kam in den Raum gesprintet, Hose auf Halbmast, dicht gefolgt von seinem Freier, nackt bis auf einen umgeschnallten schwarzen Dildo von absurder Größe.
    »Wofür zahl ich dich?«, schrie Laurentz schäumend vor Wut. In vollem Lauf rupfte er sich den Dildo von der Hüfte und holte damit zu einem gewaltigen Schlag auf den Hinterkopf des Knaben aus, als eine schwere Vase zu einem hohlen Glockenton von seinem Schädel abprallte und in ein Regal voll Nippes davonschwirrte. Scherben stoben.
    Wir alle stoppten mitten in der Bewegung - Laurentz in der des Dildoschwingens, ich in der des Abwurfs, und der Stricher in der des Zustechens. Er war herumgefahren und seine Klinge zitterte nun nur ein paar Zentimeter vor Laurentz’ Wanst. Laurentz fasste sich an die Stirn, stöhnte auf und ging zuerst zögernd, wie ein gekappter Baum, doch letztendlich massiv zu Boden. Benommen, kopfschüttelnd, kroch er auf allen vieren in Richtung Bad, von wo er mehr oder weniger übergangslos die doch immer wieder pittoresk anmutenden Geräusche wiederholten Sich-Erbrechens hören ließ. »Du schuldest mir was«, sagte ich zu dem Stricher, der sein Messer zurück in den Halter unter seinem linken T-Shirt-Ärmel schob.
    »Ich wüsste nicht, wieso«, murrte er, noch reichlich blass, aber schon wieder aufmüpfig. »Erstens hab ich dich davor bewahrt, weiter mit dem Ding da bearbeitet zu werden, und zweitens hab ich verhindert, dass du - vor meinen Augen - deinen Freier abstichst. Also.«
    Er zuckte die Achseln und verdrehte die Augen zur Decke.
    »Wie heißt du eigentlich?«, fragte ich. »Boy«, antwortete er mit leicht angehobenen Brauen. Künstlername, sollte das wohl heißen. Ich zog Yogindas Foto aus der Arschtasche meiner Jeans, entfaltete und glättete es auf dem Knie. »Hier, sieh dir das an«, sagte ich. Sichtlich genervt, als hätte ich Unmögliches von ihm verlangt, trat Boy heran und nahm das Bild zur Hand. Seine Miene blieb unverändert mürrisch, doch seine Pupillen weiteten sich. Kurz, ganz kurz nur, aber doch. Er hatte Yoginda erkannt.
    Adrenalin rauschte durch meine Adern, ein Reflex aus den Tagen, als die ersten Jäger ihre ersten Speere in die ersten Antilopen rammten. Treffer, Beute, Überleben.
    »Kenn ich nicht«, sagte Boy und gab mir das Foto zurück.
    »Die Luxemburger Behörden suchen ihn. Er kriegt dort eine Aufenthaltsgenehmigung.«
    Der Stricher grunzte höhnisch und ungläubig.
    »Ich versuche einfach nur zu verhindern, dass Yoginda so endet wie du.«
    »Ich bin noch nicht am Ende«, erwiderte er, wie er es sich wahrscheinlich jeden Tag vorbetete. Laurentz im Bad hörte sich an, als wäre er fürs Erste fertig mit Kotzen und

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