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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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regelmäßigen nächtlichen Regengüsse war der Fluss etliche Meter an Höhe und damit bald hundert Meter Distanz von der Treibholzlinie entfernt. Ich musste ein bisschen suchen, bis ich sie entdeckte, allein in einer sonnenbeschienenen Bucht mit Sandstrand, vor Blicken geschützt durch dichtes, von den Uferweiden verschattetes Unterholz. Johanna schreckte hoch, als ich mich durch das Gesträuch arbeitete, bedeckte ihre Blößen mit einem Handtuch, und lächelte erleichtert, als sie mich erkannte. »Äh, wo ist eigentlich Jacob?«, stellte ich, in meiner bezaubernd offenen Art, die erste Frage, die mir durch den Kopf schoss.
    »Jacob ist was zu trinken holen gefahren«, antwortete sie und senkte den Kopf. Ihre Lippen, sanft und rosig, mit winzigen Grübchen in den Ecken, vermittelten den Eindruck eines permanenten, bübischen Lächelns. Langsam ließ sie das Handtuch wieder von ihren Blößen gleiten. Tief gebräunte, mit einem kaum wahrnehmbaren, goldenen Flaum bestäubte Haut spannte sich über einer sportlichen Muskulatur mit flachem Bauch und langen, schlanken Armen und Beinen. Sie breitete das Handtuch neben sich aus und klopfte einladend darauf. Perfekte Pfirsichhälften sahen mich an, mit rosa Knospen, die einen ausgesprochen leicht zu begeisternden Eindruck machten.
    Ich musste ihr den Rücken zudrehen, als ich aus der Uniformhose stieg und anschließend über die Schulter »Wie ist denn das Wasser heute?« fragte. Ohne eine Antwort abzuwarten, lief ich langen Schrittes hinein in die erhoffte Abkühlung. Wenn ich übermüdet bin, ist mein Sextrieb noch wesentlich einfacher zu wecken als eh schon, leichter Schläfer, der er ist. Bloß die Abkühlung, sie ließ auf sich warten. Zumindest da, wo ich sie brauchte. Bald fünfzig Meter hinaus in die Bucht zwischen den Buhnen, und das Wasser ging mir gerade mal bis zu den Knien.
    Unverzagt latschte ich weiter und weiter durch das flache Wasser, bis ich den Grund absinken spürte, machte einen letzten Schritt, und ab ging’s Richtung Nordsee. Es wäre übertrieben, zu behaupten, dass mich die Strömung mitriss. Da war kein Reißen spürbar. Aber sie zog mich, beschleunigte mich ebenso sanft wie augenblicklich und vollkommen unwiderstehlich stromabwärts. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Ein Radfahrer oben auf dem Damm kam Strampelnderweise keinen Deut schneller voran als ich ohne jedes Zutun. Gegen die Strömung anschwimmen zu wollen war eine lachhafte Idee, also versuchte ich ihr in einer Seitwärtsbewegung zu entkommen und schwamm energisch auf die einladend vorstehende Spitze der nächsten Buhne zu. Sie kam nicht näher. Ich versuchte es mit Kraulen. Es machte kaum einen Unterschied. Doch sobald ich auch nur für eine Sekunde nachließ, zog es mich weiter weg vom Ufer. Furcht griff mit kalten Fingern in meine Eingeweide. Ich fixierte meinen Blick auf die Spitze der Buhne und versuchte mit ruhigen, gleichmäßigen Zügen meine Kräfte einzuteilen.
    »Raus! Schwimm weiter raus!« Johanna stand oben auf den Steinen, winkte heftig mit beiden Armen. »Hier sind Strudel!«
    Weiter raus? Sie hatte ja keine Ahnung. Ich sah keine Strudel, wollte nur zurück ans Ufer, weg von der unheimlichen Macht, die mich nach Holland spülen wollte, oder unter den Kiel des nächsten Lastkahns. Der Spruch von den wodkaseligen Rheinschwimmern auf Dr. Korthners Seziertisch holte mich ein, und mit einem Gefühl von Kälte wurde mir bewusst, dass in schöner Regelmäßigkeit alle möglichen Leute in dieser sich beständig wälzenden Brühe ersaufen. Ich verpasste die Spitze der Buhne nur um eine Armlänge, doch dann sog mich die Strömung Gott sei Dank hinein in die folgende Bucht. Mit letzter Kraft schwamm ich aufs sandige Ufer zu, als ich plötzlich wieder hinaus auf den Fluss blickte, dann wieder hinein in die Bucht. Dann schlug das Wasser schäumend über mir zusammen, und ich sah überhaupt nichts mehr. Alles wurde ganz ruhig, dann hell, und dann stand meine schon lange tote Großmutter in einem bunten Kleid am anderen Ufer eines munter murmelnden Bächleins und winkte mir zu kommen, in der Hand ein Stück Käsekuchen, wie ich ihn immer so gerne … Nein, Scherz, mal wieder.
    Ich wurde gepackt, hinabgesogen und da unten herumgewirbelt wie ein Würfel im Knobelbecher. Von einer Sekunde auf die andere war ich völlig ohne Orientierung. Panik packte mich, und ich kämpfte völlig planlos gegen den Sog an, bis ich schließlich, kurz vor dem Inhalieren von Wasser wider besseres Wissen,

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