Freakshow
drauf und dran, wieder auf die Beine zu kommen.
»Ich fahr dich nach Hause«, entschied ich, erhob mich, erinnerte mich meines Tankinhalts und pflückte deshalb Laurentz’ Autoschlüssel vom Haken neben der Tür. >Jaguar<, stand vorn auf dem abgewetzten Lederetui, >Autohaus Edwin Erlicher< auf der Rückseite. Wusst ich’s doch, dachte ich. Boy holte noch eben sein Handy aus dem Schlafzimmer, dann schloss er sich mir an. Wir schwiegen im Aufzug, wir schwiegen, während wir suchend durch die Tiefgarage liefen, bis ich einen betagten, schwer in den Federn hängenden XJ Zwölfzylinder entdeckte, mit >HL< in der Mitte des Kennzeichens. Ich schloss auf, wir stiegen ein, ich orgelte den Anlasser, und mit einem müden Furzen sprang der dicke Motor schließlich an. Wählhebel auf >S<, und wir quietschten los. Am Rolltor gab es einen winzigen Moment der Unsicherheit, doch dann ging es ganz ohne mein Zutun hoch. »Adresse?«, fragte ich, draußen in der biestigen Sonne, und Boy schüttelte den Kopf.
»Illegale haben keine Adresse«, entgegnete er, »keine Papiere, keine Krankenversicherung, keine Rechte.«
»Jetzt komm. Irgendwo wirst du doch wohnen.«
»Duisburg«, murrte er und justierte mit großer Selbstverständlichkeit die Klimaanlage nach seinen Wünschen. Ich trat aufs Gas, und die Tankuhr reagierte noch vor der Tachonadel.
Ah, verdammt. So dicht an der Antilope, und dann doch danebengeschmissen.
Ich hatte vielleicht fünfzehn Minuten beschwörend auf ihn eingeredet, nur um das undankbare Frettchen an der erstbesten roten Ampel in Nähe des Duisburger Hauptbahnhofs aus dem Auto springen und davonwieseln zu sehen.
Doch es war ja nicht so, als ob ich sonst nichts zu tun gehabt hätte. Ich stoppte und machte mich mühsam mit Laurentz’ Navi vertraut. Wählte schließlich aus dem Namensregister >A< für Aufbereiter. Der Wagen fuhr mich hin.
»Nix, gar nix hab ich mitgekriegt.« Der Inhaber von >Auto-Intensiv-Pflege Oberkassel< trug einen weißen Overall, aus dessen sämtlichen Taschen entweder Sprühflaschen ragten oder Lappen baumelten. »Ich war am Polieren, als einer in die Werkstatt kam. Ich will mich umdrehen zu ihm, da hat er mich auch schon von hinten gepackt und drückt mir die Luft ab. So …« Er legte sich den rechten Arm um den Hals, Ellenbogen um die Gurgel, nahm dann den linken hoch zur Verstärkung des Drucks. »Ich dachte, das war’s. Als ich wieder zu mir komme, ist der Bugatti weg. Zusammen mit meinem Hänger.«
»Was hat die Polizei dazu gesagt?«
»Kein Wort haben die mir geglaubt. Schutzbehauptung, hieß es. Wo sind denn die Würgemale, hieß es. Gemeinsame Sache, hieß es.«
»Was denn«, fragte ich dazwischen, »man hat Sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt, aber es gab keinerlei Spuren davon an Ihrem Hals?«
»Nee, nix. Hier, sehnse selbst.«
Er hob das Kinn, und der Hals darunter wirkte tatsächlich völlig unversehrt.
»Hm«, machte ich, und dachte, was die Bullen dachten:
Er hat Geld genommen und ist kacken gegangen, während die Diebe das Auto aufgeladen haben. »Meine einzige Erklärung ist, und das hab ich auch den Polizisten gesagt, dass die Arme des Kerls sehr dick waren, richtig fleischig. Gut gepolstert, wie die ganze Figur.«
Ich dachte an Laurentz, an seinen Wanst, seine Titten, seine Gorilla-Arme.
»Hatte er eine Fahne?«, fragte ich, und der Aufbereiter sah mich erstaunt an. »Sie und ihr Würger sind sich ja sehr nahe gekommen«, erläuterte ich. »Da müssten Sie doch gerochen haben, ob er eine Alkoholfahne hatte.« Er dachte einen Moment nach, bevor er den Kopf schüttelte.
»Nein, da war nichts zu riechen. Doch wollnse wissen, was das Beste war? Noch am gleichen Abend stoppt ein Autotransporter vor meinem Laden, drei maskierte Typen stürmen in meine Werkstatt und sind völlig baff, dass der Bugatti weg ist.«
Das unerklärlich bedrohlich klingende Bollern eines langsam fahrenden Autos mit einem gründlich kaputten Auspuff rollte vor der Werkstatt vorbei, und als ich, gepackt von einer Ahnung, wenn es nicht eine Erinnerung war, also, sagen wir, gepackt von einer aus Erinnerungen gespeisten Ahnung, einen Schritt raus machte, sah ich so gerade noch die Rücklichter eines alten Volvos um die nächste Ecke biegen, möglicherweise die eines 262ers. Eine leichte Gänsehaut beschlich mich. Seltenes Auto, dieses grottenhässliche Coupe. Trotzdem eine Art Liebhabermodell, also noch seltener in schlechtem Zustand anzutreffen. Ich kenne nur einen, der so ein Ding
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