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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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fährt. Honka. Claude Honka. Die meisten in Honkas Erwerbszweig sind Ex-Irgend-was. Ex-Boxer, Ex-Türsteher, Ex-Privatdetektive oder auch schon mal Ex-Polizisten. Claude Honka nicht. Er hat keinen Ex-Beruf. Er ist und war schon immer Geldeintreiber und Kopfgeldjäger, solange ich denken kann und somit wahrscheinlich von Kindesbeinen an. Dabei - und das ist das Kuriose und, wenn man nur eine Sekunde darüber nachdenkt, wirklich Beängstigende an ihm - hasst er seinen Beruf wie die Pest. Mach Claude Honka Schwierigkeiten, und du kriegst ihn zu spüren, diesen Hass.
    Ich wartete ein paar bange Minuten im Schatten der Werkstatt, doch das Auspuffgrollen kam nicht zurück.
     
    Bevor ich Laurentz’ Wagen zurück in die Tiefgarage fuhr, stoppte ich neben dem Toyota und pumpte den Inhalt eines der beiden Tanks des Jaguars in meinen um. Oben an der Wohnung ließ ich mich erst ein, als auch nach wiederholtem Klingeln niemand öffnete. Ich fand Laurentz im Schlafzimmer, schnarchend, auf dem Bauch liegend, nach wie vor nackt, und der riesige Dildo ragte vielleicht noch zur Hälfte zwischen seinen Arschbacken hervor.
    Na, das sah mir mal nach einem freudigen Erwachen aus.
     
    »Ist das nicht ein bisschen früh für deine Kostümierung? Man könnte auf die Idee kommen, du steigst freiwillig in die Uniform.« Damit lag Scuzzi gar nicht mal so weit daneben, auch wenn ich diesen Umstand für mich behielt.
    »Was ist das denn?«, fragte ich stattdessen und meinte die Musik. Wenn man den erbarmungslos fröhlichen Popsong, vorgetragen mit einer erbarmungslos entnervenden Stimme so nennen konnte.
    »Eine Anlage«, antwortete Scuzzi, der weit zurückgelehnt mit den Beinen auf dem Tisch da saß und die Decke bewunderte. »Hab ich mir auf deinen Namen aus dem Fundus ausgeliehen.«
    »Nein, ich meine, was da läuft?«
    Er nannte einen Namen, der im Gequäke unterging. »Geil, nicht? Man nennt sie schon die neue Madonna.« Eine neue Madonna. Als ob da Bedarf bestünde. Als ob man nicht die alte eines schönen Tages mit einem Kissen ersticken müsste, damit sie endlich Ruhe gab. Es geht schon wieder los, dachte ich. Es geht echt schon wieder los. Und diesmal gab es kein Ausweichen. Wir wohnten zusammen. Unter diesem einen Dach. Mir trat der Schweiß auf die Stirn.
    »Die Cds kann man sich hier in der Mediathek ausleihen«, erklärte Scuzzi zufrieden. »Filme auch.« Wehret den Anfängen, dachte ich und drückte den Eject-Knopf. Das Geplärre erstarb, eine kleine Lade surrte vor, ich nahm die CD heraus, warf sie Scuzzi zu. »Ich habe auch noch die neue von Lady Gaga, wenn dir das besser gef…«
    Mit einem Ruck brach ich die Lade ab und zwirbelte sie in den Mülleimer.
    »Du bist mal wieder ein richtiger kleiner Sonnenschein, heute«, murrte Scuzzi, zog ein paar Ohrhörer aus seiner Hosentasche und fummelte sie sich in die Gehörgänge. »Hast du die auch auf meinen Namen ausgeliehen?«, fragte ich, doch er justierte irgendwas an seinem MP3-Player und bekam nichts mehr mit, nicht mal das Klopfen an der Tür. Also musste ich hingehen und öffnen. Draußen stand ein pickliger Jüngling mit verdutztem Gesicht.
    »Äh, ist Scuzzi nicht da?«, fragte er und beäugte mich in meiner Uniform unsicher.
    Scuzzi sah auf und zupfte seine Ohrstöpsel raus. »Hey, Kevin, komm doch rein«, rief er, nahm die Beine runter, zog die Schublade aus dem Küchentisch. »Was soll’s denn sein?«
    Ich war, glaube ich, ein wenig sprachlos.
    »Ja, äh, hast du noch was von dem Gras, das ich letztes Mal gekauft hab?«
    »Klar doch. Aber ich hab von jetzt an auch wirklich interessante Pillen im Angebot. Diese Antidepressiva hier, zum Beispiel, wenn du dir die zusammen mit…« Ich schloss die Tür hinter mir. Scuzzi war schon wieder voll im Geschäft, voll zurück in seinem alten Leben. Es war unglaublich.
     
    Die Sonne schien, als ob sie mir ein Loch in die Glocke brennen wollte, die Krähen in ihrem Baum kommentierten mein Passieren in heiseren Tönen, flach und gerade verlief der schmale Trampelpfad am Rande eines Ackers entlang, bis er sich abrupt den grasbewachsenen Damm zum Fluss hinabstürzte.
    Langgezogene, unglaublich tief im Wasser liegende Frachtkähne kämpften sich den Rhein hoch oder kamen ihn herabgeflogen. Buhnen - weit in den Flusslauf ragende Steinwälle - teilten das Ufer in regelmäßige Buchten. Weiden wuchsen aus dem sandigen Grund, Treibholz markierte die Uferlinie des letzten Hochwassers, trocknender Schlamm muffelte vor sich hin. Trotz der

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