Freche Mädchen... 09: Liebe, Chaos, Klassenfahrt
mich gar nicht. Immer wieder murmelte sie etwas vor sich hin. Vorsichtig beugte ich mich über sie und hielt die Luft an, bis ich verstehen konnte, was sie die ganze Zeit sagte: »Ich bin stark. Ich bin schön. Ich bin mutig. Ich setze mich neben Jannis. Ich bin stark, ich …«
Sie ließ die Hände zur Seite gleiten. »Mist, jetzt bin ich rausgekommen.« Unwillig richtete sie sich halb auf. Als sie meinen Blick sah, grinste sie. »Guck nicht so schockiert. Ich hab mal autogenes Training gemacht. Soll gegen Lampenfieber vor Klassenarbeiten helfen und so. Ich hab mir überlegt, dass es auch für diese Sache geeignet sein könnte.«
»Und? Fühlst du dich jetzt stark und schön? Und mutig?«
Sie überlegte kurz. »Weiß nicht. Du hast mich gestört. Wahrscheinlich hätte ich für die volle Wirkung noch zwei oder drei Minuten gebraucht. Aber jetzt muss es eben so gehen.«
An der Tür drehte sie sich nochmals kurz um. »Wie seh ich aus?«
Ich nickte ihr zu.
Sie machte ein Siegeszeichen, warf mir eine Kusshand zu, rief »danke für deine Vorarbeit« und rauschte davon.
Aber Anke
hatte an diesem Vormittag nur Pech. »Erstens«, erzählte sie mir später, »ging Jannis gerade in dem Moment, als ich in den Speisesaal kam. Dabei hätte ich gleich ein Gesprächsthema gehabt. Seine rechte Hand ist nämlich verbunden und ich hätte ihn fragen können, was passiert ist. Zweitens kam unser heiß geliebter Mathelehrer direkt auf mich zu und hielt mir einen grauenhaften Vortrag über Wanderschuhe und Sandalen.« Sie verzog das Gesicht. »Mein autogenes Training vorher war doch ganz hilfreich. Sonst wäre ich wahrscheinlich ausgeflippt. Jedenfalls musste ich mich zu ihm und Natascha an den Tisch setzen. Kaffee durfte ich mir auch nicht einschenken. Kaffee sei angeblich nur für Erwachsene, meinte Danni, und für uns sei Kamillen- und Pfefferminztee da.« Anke schüttelte den Kopf. »Kamillen- und Pfefferminztee, igitt! Und Jannis war schon weg.« Sie schluchzte. »Das war das Allerschlimmste an diesem Morgen.«
»Komm, Anke, reg dich nicht auf«, tröstete Stefanie. »Es gibt ja auch was Erfreuliches. Die Wanderung zu dem merkwürdigen Ding, das Danni neulich schon nicht gefunden hat, ist abgesagt. Wenigstens für heute Vormittag.«
»Und warum?«, fragte ich.
»Danni hat seine Liebe zu Natascha entdeckt.« Anke grinste. »Die beiden sind echt süß. Natascha hat beiläufig erzählt, dass sie sich gestern bei unserem Marathon von der Ölmüsser Höhe bis hierher eine furchtbare Blase geholt hat und kaum noch laufen kann, und schon meinte Danni, dann sollte man heute besser kein anstrengendes Programm machen. Könnt ihr euch das vorstellen? Ich glaube, Danni ist in Natascha verliebt.«
»Der ist doch verheiratet. Kannst du dir ernsthaft vorstellen, dass sich jemand in einen Mathelehrer verknallt? Und außerdem ist er mindestens doppelt so alt wie sie«, sagte ich zweifelnd. »Natascha hat ziemlich komisch geguckt, als Danni mit Wanderschuhen und roten Strümpfen dastand. Und dann noch dieser komische Hut, den er immer beim Wandern aufhat.«
»Wer weiß, wo die Liebe hinfällt«, sagte Anke geheimnisvoll.
Ich überlegte, ob das vielleicht schon die Belohnung für meinen Verzicht auf Jannis sein sollte. Ja, vielleicht war es wirklich so: Danni und Natascha verlieben sich unsterblich ineinander, Danni verlässt seine Frau, lässt sich scheiden und heiratet Natascha. Dann würde Papa endlich Ruhe vor ihr haben.
»Wir sollten mal Karten nach Hause schreiben«, unterbrach Stefanie meine Gedanken. »Anke und ich haben an der Rezeption schon welche gekauft. Man kriegt dort auch Briefmarken und kann die geschriebenen Karten dann wieder abgeben. Das ist doch echter Service hier, findet ihr nicht?« Sie holte eine Handvoll Karten aus ihrer Tasche. »Hier, seht mal! Dreimal Erdmannsweiler, die kriegen meine Großeltern, meine Patentante und meine Eltern und die hier …«
»Ja, schon in Ordnung«, unterbrach Anke sie ungeduldig und wandte sich an mich. »Wenn du dir welche holst, bringst du mir dann noch drei Briefmarken mit?«
Ich nickte. Ziemlich gut gelaunt ging ich zur Rezeption. Vielleicht war Danni wirklich in Natascha verliebt, so schlecht sah sie ja nicht aus. Vielleicht hatte Natascha auch erkannt, dass sie mit Papa keine Zukunft hatte. Sie musste unseren Mathelehrer ja nicht gleich heiraten; Hauptsache, sie ließ die Finger von Papa.
An der Rezeption war keine Menschenseele. Ich guckte in den Speiseraum und sagte der
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