Frederikes Hoellenfahrt
Fahrers hörte er nicht. Das Taxi ordnete sich wieder in den Nachtverkehr ein und verschwand unbesetzt mit leuchtendem Schild. Ehrlicher ging schnellen Schrittes, rannte fast. Hast wohl noch eine Verabredung, Opa. Menschen lachten über ihn. Vielleicht waren sie auf ihrem Heimweg. Vielleicht suchten sie die nächste Theke oder eine Diskothek. Sie wussten von nichts. Frederike und Kain! Geiselnahme im Waschsalon ! Was war passiert? Konnte er helfen? Ich komme sofort! Kollegin Schabowski hatte sich sein Erscheinen verbeten.
Ehrlicher überquerte die Straße. Er hatte sich nicht bis zum Waschsalon vorfahren lassen. Er würde die letzten Meter laufen und durchatmen. Außerdem war die Straße gesperrt. Polizisten standen und wiesen darauf hin, andere Wege zu nehmen. Keiner hielt sich daran. Sie liefen alle in eine Richtung.
Ehrlicher hatte gehört, wie Agnes Schabowski um Coolness und langen Atem rang. Bitte bewahren Sie Ruhe! Wir haben die Lage im Griff! Nach dem nächsten Straßenzug sah Ehrlicher die Blaulichter. Er sah Feuerwehr und Krankenwagen. Er sah die Panik in allen Gesichtern. Agnes Schabowski hatte nicht übertrieben. Im Griff hatten sie nichts.
Ehrlicher sah einige Uniformierte hastig ein Absperrband ziehen. Menschen drängelten dahinter. Ein weiterer Polizist dirigierte die Einsatzfahrzeuge und pfiff. Wahrscheinlich begann man, Bewohner zu evakuieren. Ein Mannschaftswagen des SEK bremste unter den Lichtern einer Bar. Ihren Gästen wurde als Zeugen der Heimweg verweigert. Ein Megafon wurde in Stellung gebracht. Aus offenen Fenstern hingen Köpfe. Hinter dem Absperrband feierten sie mit Wein und Bier. Ehrlicher hörte das Lachen. Die Zuschauer glaubten sich vor einer Filmkulisse. Gleich würde der Held vom Stuntman gedoubelt. Ehrlicher wusste, das war kein makabres Spiel. Geiselnahme im Waschsalon!
Ehrlicher bahnte sich einen Weg durch die Schaulustigen. Der Uniformierte ließ ihn passieren, auch wenn er keinen Dienstausweis mehr vorweisen konnte. Man kannte sich. Freundlich wurde er von einigen Kollegen gegrüßt. Man wies ihm die Richtung, in der die Verantwortlichen waren. Sie saßen in einem Kleinbus und besprachen die Lage.
»So schnell wie möglich muss der Kontakt mit den Geiselnehmern hergestellt werden. So schnell wie möglich!«
Ehrlicher konnte die Stimmen im Bus keinen Personen zuordnen und bezog einen Platz, von dem aus er sie verstehen konnte. Agnes Schabowski schien doch nicht die Leitung innezuhaben. Er hörte nur Männer. Aber sie hatte ihn informiert. Sie hatte ihn abgelöst, war jetzt die Chefin. Wo steckte sie?
»Versuchen Sie in minütlichem Abstand zu telefonieren. Immer wieder!«
»Zweimal hat man den Hörer abgenommen und aufgelegt.«
»Das ist kein Kontakt.«
»Es beweist, dass das Telefon bei den Geiseln steht. Vielleicht haben die Täter da drinnen selbst keinen Plan.«
»Wir müssen davon ausgehen, dass sie einen haben und dass dies eine genau vorbereitete Aktion ist.«
»Warten wir ab, was die Geiselnehmer sagen. Sie können den Kontakt nicht verweigern. Sie wollen Lösegeld oder etwas anderes erpressen.«
Bruno Ehrlicher war fassungslos, die Kollegen hatten keine Ahnung, worum es ging. Erpressung war klar, warum kidnappte man sonst Menschen? Lösegeld, sicher. Vielleicht aber auch Freilassung von Gefangenen, Terroristen und Mördern, sonst folgte der Tod aller Geiseln. Ehrlicher stellte sich all die Gesichter der Entführten vor: Familie Wallert, Ingrid Betancourt und Hanns Martin Schleyer. Jemen. Kaschmir. Im Irak hatte man Menschen geköpft. Er sah Frederike. Er sah Kain. Ehrlicher trat vor die Bustür.
»Wer hat Sie denn gerufen?« Der Ton war ablehnend, brüsk. Bastian Michalk zog sich am Schlips.
»Die Chefin.« Ehrlicher war nicht bewusst, dass er log.
»Das glaube ich Ihnen nicht. Kommissarin Schabowski ist doch selbst noch gar nicht vor Ort. Sie verhört Zeugen in einem Mordfall.« Michalk zog den Schlipsknoten wieder nach unten und erklärte wichtig. »Im BARocko hat einer den Besitzer abgeknallt. Kein Wunder, in der Szene ist heute keiner mehr sicher. Die Chefin ist jetzt dort und kommt dann hierher. Die Täter könnten geflüchtet und unsere Geiselnehmer sein.« Er wies mit dem Finger auf Frederikes Waschsalon, dann fuhr er fort: »Zwei Überfälle, nur dreihundert Meter entfernt, wäre ein Zufall, den es nicht gibt. Hatten wir noch nie in Leipzig. Sie müssten das wissen.«
Auch Michalk war nicht Herr der Lage. Ehrlicher sprach leise. »Vielleicht kann
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