FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
befinden, ein Gang vielleicht. Aber Rosa fand keine Öffnung, in die man greifen konnte, oder in der sich ein versteckter Hebel befand.
Schließlich gab sie auf. Es hatte keinen Zweck, weiterzusuchen. Sie stützte sich mit beiden Händen auf den Sarkophag ab und dachte nach.
Was nun? Aufgeben? Am nächsten Tag mit Benno hierherkommen? Vielleicht fand er eine Lösung.
Der Sarkophagdeckel bewegte sich ein wenig unter dem Druck ihres Körpergewichts. Rosa versuchte ihn zu drehen. Die Grabplatte an der Wand knarrte. Das war das Geheimnis! Der Deckel des Sarkophags war unterirdisch mit der Grabplatte verbunden. Drehte man ihn, öffnete sich die geheime Tür.
Mit aller Kraft drehte Rosa nun den Deckel des Sarkophags. Knirschend und knarrend begann sich damit auch die Grabplatte zu drehen. Ein niedriger, dunkler Gang erschien dahinter.
Mit ihrem praktischen Verstand versuchte sie zu verstehen, wie diese Mechanik funktionierte. Nicht, dass sie den Gang betrat, und die Tür schwang hinter ihr zu, ohne dass man sie von der anderen Seite öffnen konnte. Dann würde sie in der Falle sitzen! Eingesperrt unter der Erde, wo niemand ihre Schreie hören würde, bis man vielleicht nach Hunderten von Jahren zufällig ihre weißen Gebeine fand.
Wahrscheinlich war in der Mitte des Sarkophagdeckels eine Eisenstange befestigt, ebenso an der Grabplatte. Beide besaßen unten eine Querstange, die wiederum auf beiden Seiten mit Ketten oder beweglichen Stangen verbunden waren. Drehte man den Deckel, drehte sich auch die Platte. Dann musste es auch ungekehrt funktionieren.
Rosa ging zur Grabplatte und zog daran. Richtig, der Deckel des Sarkophags drehte sich zurück. Eine genial einfache Konstruktion. Sie brauchte also keine Angst zu haben, dass die Geheimtür sich versehentlich schloss, während sie den dahinterliegenden Gang erkundete, oder dass sie die Tür nicht mehr vom Gang aus öffnen konnte – vorausgesetzt, niemand blockierte den Deckel!
Wohin führte der Gang? Zu weiteren Grabkammern? Wohl kaum, sonst hätten sich die Erbauer nicht so viel Mühe gemacht, den Zugang zu verbergen. Verband er die Krypta mit anderen Kirchen? Oder sollte er ein Fluchtweg sein, falls Feinde das Asylrecht der Kirche missachteten? Sie würde es herausfinden!
Kurz entschlossen betrat Rosa den geheimen Gang und leuchtete ihn mit ihrer Laterne ab. Der Emmerich war sicherlich schon längst weitergegangen und durch irgendeinen Ausgang in sein Versteck verschwunden, von dem aus er die Stadtbewohner mit seinem Erscheinen in Angst und Schrecken versetzt hatte.
Aber nun waren Benno und sie ihm auf die Spur gekommen. Sie brauchte jetzt nur noch herausfinden, wo er sich versteckt hielt, und dann würde sie mit Benno und einem Büttel wiederkommen und ihn ans Tageslicht zerren.
Mal sehen, was für eine Geschichte er erzählen wird, wer er wirklich ist, und warum er einen Untoten spielte, dachte sie mit zufriedenem Gesicht. Sie war der Lösung des Rätsels näher als je zuvor, und das beflügelte nur ihren Tatendrang. Auch wenn der dunkle Gang ihr unheimlich war und sie Angst davor hatte, dem Emmerich-Phantom in die Arme zu laufen, ging sie von Abenteuerlust getrieben weiter.
Der Gang lief leicht bergab. Er war glitschig und feucht und roch nach Schimmel und verfaultem Holz.
Schon nach wenigen Schritten traf sie auf eine Kreuzung. Geradeaus verlief der Gang abwärts und war nach etwa hundert Schritt mit Eichenbohlen versperrt. Rosa horchte und vernahm ein leises Gluckern. Offensichtlich führte er zur Elbe hinunter. Er war also tatsächlich ein alter Fluchtweg für Besucher der Kirche, die früher hier einmal gestanden haben musste. Sie kehrte zu der Kreuzung zurück.
Nach rechts führte der zweite Gang leicht nach oben und verlor sich in der Dunkelheit. Ob Emmerich ihn genommen hatte? Vielleicht führte er tatsächlich zum Kloster »Unser Lieben Frauen«. Möglicherweise handelte es sich aber auch um einen Gang, der zu den verschiedenen Festungswerken rings um Magdeburg führte.
Sie entschloss sich also dem Gang links hinunter zu folgen. Entweder er endete tatsächlich bei den Festungsanlagen oder er führte weiter bis in die Vorstadt Sudenburg. Möglicherweise war es sogar genau der Gang, den sie entdeckt hatten. Sie würde es herausfinden.
Der Gang führte zu einer Reihe von Treppenstufen, die über mehrere Absätze weiter hinabführten.
Die Wände waren jetzt noch feuchter, und von der Decke tropfte Wasser herunter. Sicherlich befand sie sich nun
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